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5 Das WWW und weitere neuere Netzdienste

198938 wurde am CERN* das WWW* entwickelt: der nächste Quantensprung im Netz. Mittels einer grafischen Benutzeroberfläche entstand in dem komplexen Hi-Tech-Medium Internet ein einfach zu bedienendes System von miteinander verknüpften Hypertexten. Motiv für die Innovation war der Wunsch nach der schnellen, aber verbindlichen Verfügbarmachung von Texten aus laufenden Forschungsprojekten.

Die ersten Browser waren textbasiert, verfügten aber schon über die Funktionalität der modernen Browser, was das Verfolgen der Links anging. So wird auch heute noch ,lynx'39, ein früher Unix-Browser verwendet, welcher eben wegen seiner Unfähigkeit, Grafiken darzustellen, einen extrem schnellen Seitenaufbau garantiert. 1993 wurde von der NCSA der erste grafische Browser veröffentlicht, zuerst die obligatorische Unix-Variante, dann auch Portierungen für PC und Mac. Mitautor war der inzwischen als Chef von Netscape bekannte Marc Andreesen.40 Die Zahl der dezidierten WWW-Server stieg von 500 Ende 1993 explosiv auf 650.000 199741, Ende 2000 auf über 22 Millionen42.

Der explosionsartige Siegeszug des WWW brachte auch den ersten rein kommerziell begründeten Wettstreit mit sich, der die Ideale vom konsensorientierten Einführen offener, einheitlicher Standards schnell zerschlug, die Rede ist vom Browserkrieg zwischen Microsoft und Netscape. Während bisher die Weiterentwicklung von Standardprotokollen durch Konsortien verwaltet wurden, die Erweiterungen und neue Features vor ihrer breiten Anwendung als verbindlich abzusegnen hatten, war es dank der gemeinsamen Marktbeherrschung der beiden Browserhersteller schnell gängige Taktik, neue Features und Programmcodes einzubauen, die vom jeweils eigenen Browser unterstützt wurden, um so einerseits die Designer mit den erweiterten Möglichkeiten zu ködern und andererseits die Nutzer an den eigenen Browser zu binden. Anders als bei den Standardisierungen anderer Protokolle, bei denen Effizienz und Sicherheit im Vordergrund standen, war hier die einzige Motivation die Bindung möglichst vieler User an den eigenen Browser und damit an das eigene Portal, welches werbetechnisch vermarktet wurde. Inzwischen von Microsoft mit umstrittenen Methoden gewonnen, war der Browserkrieg die Premiere der Unterordnung technischer Effizienz zugunsten markttechnischer Erwägungen. Waren bisher die Kommerzialisierungsbestrebungen den neuen Möglichkeiten und Anforderungen des Netzes angepasst worden, wurde hier zum ersten Mal die Technik für die Kommerzialisierung instrumentalisiert.

Mit dem WWW* fand auch die heute beobachtbare gegenseitige Durchdringung der verschiedenen Internetdienste statt. Emails können aus WWW-Seiten heraus verschickt werden, Newsgroups auf WWW-Seiten archiviert werden, es bildeten sich HTML*-basierte Chats, die WWW-Browser nehmen automatisch Aufgaben wie das Herunterladen von Files mittels ftp wahr etc. Die Sprache des WWW, HTML43, wurde auch kontinuierlich weiterentwickelt, die aktuelle Version 4.0 umfasst weit mehr Design- und Multimediamöglichkeiten als die Anfangsversionen, Skriptsprachen wie Java, Javaskript, Tools wie Flash oder die umstrittenen ActiveX-Controls erweitern die Möglichkeiten der Darstellung multimedialer Inhalte. Mit XML*44 dürfte in nächster Zeit ein optimal anpassbares Designtool zum Standard werden, CSS*, vordefinierte Formate für beliebige Textauszeichnungen, leisten auf andere Art und Weise ähnliches. VRML*45 war dazu gedacht, die zweidimensionale, text- und bildbasierte Darstellung von HTML zum dreidimensionalen Cyberspace zu machen, in dem man sich bewegen kann, bisher stagniert die Entwicklung jedoch. Multimedialität wird momentan vor allem durch die Verbreitung von Shockwave/Flash vorangetrieben, welches das Einbinden von Animationen und Videos in HTML-Dokumente erlaubt.

Immer mehr Dienste und Kommunikationsformen werden in das Internet mit einbezogen, so inzwischen Voice-over-IP (Internet-Telefonie), SMS (Short Message Service, Kurz-,mails' von Handys), Fax- und Druckdienste, Echtzeit-Videostreaming usw. Trotz aller Bemühungen verschiedener kommerzieller Interessensgruppen werden die Schnittstellen für den Endanwender zunehmend standardisiert und vereinheitlicht, so dass die Mächtigkeit des Net, was die Darstellung und Realisierung unterschiedlichster Formen medienvermittelter Kommunikation und der Implementierung verschiedenster Daten betrifft, weiter ansteigen wird. Viele der verwendeten Formate sind im Unterschied zu HTML jedoch proprietär und ihre Nutzung zumindest im Serverbereich ist meist kostenpflichtig.

Die Entwicklungen der letzten Zeit deuten auf eine Renaissance der dezentralen Netzstrukturen der späten 80ern und frühen 90ern hin, indem als Gegenbewegung zu den großen Portalen und der Zentralisierung der Informationsangebote auf den Angeboten der großen Medienkonzerne Tauschbörsen wie Napster und Gnutella an Bedeutung gewinnen. Hier stehen weniger die Darstellungsmöglichkeiten im Vordergrund, sondern die dezentrale Struktur, die den Austausch beliebiger Dateien, ob direkt im Netz darstellbar oder nicht, erlauben. Vom Prinzip her am weitesten fortgeschritten ist das Freenet-Projekt, auf das im Kapitel 4.4. näher eingegangen wird. An dieser Stelle sei nur darauf verwiesen, dass sich die Bestrebungen inzwischen vom Wunsch nach der reinen Erweiterung der Darstellungs- und Kommunikationsmöglichkeiten zum ständig mitgedachten Widerstand gegen mögliche Kontrollen oder Einschränkungen des Datenflusses erweitert haben. Indirekt bezieht sich das Netz inzwischen durchaus auf nationale und internationale Gesetzgebungen, freilich teilweise im entgegengesetzten Sinn, nämlich dass mittels technischer Entwicklung versucht wird, geltendes Recht zu unterlaufen, indem die Kontrolle über das Eingehaltenwerden von Gesetzen oder aber die Sanktionierung bei Nichtbefolgen unmöglich gemacht wird.


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Richard Joos; 6. Februar 2002