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1 Offene Gremien und Regulierungsinstanzen im Netz

Das Internet wird von einer Reihe von Institutionen gesteuert, welche unterschiedliche ,Schnittmengen' mit der Welt jenseits des Netzes haben. Während die Entscheidung über die zulässigen Auszeichnungen des HTML-Codes weniger Geschäftsinteressen oder politische Begehrlichkeiten wecken, kann man ähnliches von beispielsweise den Vergabemodalitäten von Domänennamen nicht behaupten.

Es soll en detail im Folgenden nur die ICANN vorgestellt werden, Vorangestellt wird jedoch ein kurzer Überblick über verschiedene Organisationen, die Regulierungsaufgaben im Internet herstellen, um eine Folie zu liefern, vor der die Besonderheit der Arbeitsweise und der Handlungsrichtlinien ICANNs deutlich werden.

Figure 1.1: Quelle: http://livinginternet.com/g/mgmt.gif, 3/2001; tlw. erweitert
\includegraphics[width=\linewidth]{mgmt.eps}

Die ISOC*, die Internet Society, ist die Dachorganisation untergeordneter netzbezogener Organisationen. Sie umfasst mehrere Hundert Organisationen und eine lange Reihe von Privatpersonen. Sie richtet die alljährliche Internetkonferenz aus und kümmert sich beispielsweise auch darum, dass der Begriff ,Internet' ein frei verfügbarer Begriff wird und nicht als Wortmarke oder sonst wie geschützter Begriff in das Eigentum von Privatpersonen übergeht.

Das IAB*, das Internet Architecture Board, dokumentiert die gültigen Protokolle des Internet, ernennt die Mitglieder der IESG* und setzt die Vorsitze der IANA* ein. Außerdem leitet es das RFC*-System, mittels dem die Fortschreibung der Protokolle und Richtlinien des Internet realisiert wird.

Die IETF*, die Internet Engeneering Task Force, ist eine offene Vereinigung von Administratoren, Technikern, ForscherInnenn und Softwareproduzenten, die die Weiterentwicklung von Protokollen, Sicherheitsrichtlinien, Routing etc. des Internet betreibt. Sie fördert auch den Technologie- und Wissenstransfer zwischen der IRTF*, der Internet Research Task Force und leistet somit Vermittlung und Koordination zwischen Forschung und Praxis (wobei auch der zeitliche Rahmen eine Rolle spielt: während die IETF kurz- und mittelfristig die Standards definiert, ist die Aufgabe der IRTF die langfristige Kursbestimmung und Forschung).

Mitglied der IETF* oder der ISOC* kann prinzipiell jedeR werden, Zugangsschwellen sind weniger die Zugehörigkeit zu Wirtschafts- oder Regierungsinstitutionen als vielmehr ExpertInnenstatus und Engagement.

Das W3C* nimmt dagegen nur Organisationen auf.46 Das W3C kümmert sich um die verbindlichen Standards des http-Protokolls, über welches Webseiten transferiert werden, und um die Weiterentwicklung des HTML-Standards.

Im Unterschied zu staatlich unterstützten Gremien wie der ISO* haben sich die angeführten Gremien selbst gebildet und sind nicht staatlich legitimiert. So schreibt die Bertelsmann-Stiftung den genannten Gremien eine ,bottom-up'-Struktur zu, nach der sie entstanden seien, betont aber richtigerweise die implizite Technokratie.47

Als beispielhaft für diese für die bisher angeführten Organisationen typische lose, unabhängige Zusammenarbeit kann wiederum das bereits erwähnte RFC-System gelten. Standards von Protokollen oder sonstigen netzrelevanten Vereinbarungen können an die zuständigen Gruppen der IETF, ISOC oder inzwischen auch der ICANN* eingereicht werden, welche dann die Probleme je nach betreffendem Fachgebiet in lokale Arbeitsgruppen (Working Groups, WGs) weitergeben. Die anstehende Standardisierung wird als Internet Draft bezeichnet und hat vorerst überhaupt keine Geltungsmacht. Die Erörterung des Themas und die Einigung auf die besten Möglichkeiten finden über Mailinglisten statt. Treffen werden jährlich mehrmals organisiert, in denen dann auf Konsensebene die Ergebnisse zusammengefasst werden und in die RFC's eingehen.48 Trotz der inzwischen häufigen Zugehörigkeit der Mitglieder zu Industrieunternehmen sind die Selbstdarstellungen der Organisationen teilweise herzerfrischend ,inoffiziell', weiterhin bleibt der Anschein bestehen, dass technische Angemessenheit, Kompetenz und Engagement mehr wiegt als das Vertreten von Konzerninteressen. Ebenso ist eine starke ,Dienstaltershierarchie' feststellbar, die immer wieder betont wird. Leute wie Cerf oder Kleinrock, die als Quasi-,Väter' des Internet gelten, genießen in Kreisen von Netztechnikern hohes Ansehen und werden eher wahrgenommen. Deutlich erkennbar ist auch die allgegenwärtige Verehrung des inzwischen verstorbenen Jon Postel, der die längste Zeit das RFC*-System administriert hat. Aufmerksamkeit und Einfluss macht sich so fast ausschließlich an bisherigem Engagement und Fachwissen und der daraus resultierenden Fachreputation fest. Die Angehörigen der Organisationen selbst pflegen gerne ihr Nerd-Image, beispielsweise erhebt die IETF* das Nichtvorhandensein eines Dresscodes zum Dresscode und betont die IAB* die Wichtigkeit des Herumwanderns und Kaffeetrinkens bei den Meetings der IETF*.

Die wachsende Öffnung der Institutionen, die die grundlegende Architektur des Internet weiterentwickeln49, lässt sich auch am gestiegenen Einfluss der außeramerikanischen Einrichtungen wie z.B. dem CERN* in den verschiedenen Institutionen beobachten. Hauptakteure der steuernden Gruppen kamen lange Zeit aus Forschung und Entwicklung. Mittlerweile sind auch viele VertreterInnen von Industrieunternehmen in den verschiedenen Organisationen.50

Dem gegenüber stehen Interessenverbände, welche die Kontrolle in ,institutionalisiertere' und vor allem internationalere Hände legen wollen. So lag bis vor kurzem die Verwaltung der generic Top-Level-Domains* (.net,.org,.mil etc. ) ausschließlich in den Händen der Network Solutions, Inc. (NSI*), einem US-amerikanischen Unternehmen, das im Auftrag der National Science Foundation die gTLDs* monopolistisch verwaltete. Problematisch ist, dass das Unternehmen seinen Sitz in den USA hat, nach einem Gerichtsurteil als Auftragnehmer der NSF* Immunität vor dem Antitrustgesetz genießt und nur dem amerikanischem Handelsministerium Rechenschaft schuldig ist, welche Domains eingerichtet werden. Diese Regelung wurde angesichts der Multinationalität des Net zum Anlass vieler Grabenkämpfe, die wiederum zur Gründung von ICANN* geführt haben.51

Weiterhin ist die deutliche Tendenz feststellbar, dass die ausschließliche Legitimation der ,Organe' des Internet durch Regierungs- und Bildungsinstitutionen der USA langsam, aber sicher aufgeweicht wird - zugunsten einer steigenden Beteiligung europäischer und südostasiatischer Gruppen. Wie in allen sich globalisierenden Hochtechnologiefeldern sind Entwicklungsländer und ehemalige Ostblockstaaten unter den kontrollierenden Instanzen praktisch inexistent.

So kann man auf der einen Seite beobachten, wie seitens von Wirtschaftsunternehmen versucht wird, einheitliche, proprietäre Standards auf dem Netz zu etablieren, wohingegen die Interessensgruppen, die aus den Anfangsinstitutionen des Net hervorgegangen sind (vornehmlich Forschungsstellen an Universitäten und Einrichtungen der ARPA*), noch vornehmlich das Ziel der offenen Standards verfolgen, welche durch Gruppen wie der Open-Source-Bewegung zwar unterstützt werden; während auf der anderen Seite jedoch die Rechte an geistigen Eigentum und das Copyright immer weiter verschärft und durchgesetzt werden sollen. Letztlich haben sich bisher in Bezug auf die meisten Netzprotokolle immer die offenen Standards etablieren können, ob dies so bleibt, ist abzuwarten.


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Richard Joos; 6. Februar 2002