next up previous contents
Next: 4 ICANN und das Up: 3 Durchsetzungsphase: Das Netz Previous: 2 Ein Experiment in   Contents

3 Die ICANN-Wahlen

Mit den Wahlen der At-Large-Direktoren58 versuchte ICANN* (vergeblich), sich den Anschein demokratischer Legitimität, mithin das Image einer gewählten Internetregierung zu geben. Einen ähnlichen Versuch unternahm schon 1997 Jon Postel, der den Root Server gerne einer der UN untergeordneten, noch zu schaffenden Institution antragen wollte, jedoch am Widerstand der US-Regierung scheiterte.59 Der Kompromiss bestand in der Gründung der ICANN und die Übertragung maßgeblicher Regulierungsgewalt, die bis zu diesem Zeitpunkt bei der IANA unter der Leitung Postels und bei Network Solutions, Inc (NSI), welche für die Vergabe der Top-Level-Domains zuständig ist, lagen.

Seit Bestehen des Domainnamenssystems bis zur Delegierung von ICANN* lag so die letztliche Kontrolle bei der US-Regierung, zu Beginn durch die Kontrolle der Regierung über die NSF*, der NSF wiederum durch die Delegation der Aufgabe an IANA*, die ihrerseits wieder NSI* beauftragte.

Postel begann im Rahmen seiner Aktivitäten bei der IANA, Leute zur Besetzung des ICANN-Direktoriums auszuwählen, welche vertrauenswürdig und neutral seien:

"`Dr Postel stated that IANA focused on choosing People of outstanding credencials and Reputations who had not been engaged in the domain name system debates and whom the Internet community would recognize and support as qualified and neutral. In a letter dated July 1999 [...] ICANN explained that Dr. Postel made the final decisions on who would be invited..."'60

Angesichts der derartig schon vorausbeeinflussten Wahlprozedur äußerte beispielsweise Klaus Leggewie schon im Vorfeld der Wahlen Bedenken, nicht nur über die völlig fehlende Legitimation hin zu den praktischeren Fragen, wer überhaupt das Volk sei, also wahlberechtigt wäre, und wie die Wahl überwacht und durchgeführt werden solle. Das Ergebnis, die fünf gewählten Direktoren unter den neunzehn Direktoren, die ICANN vorstehen, bezeichnete er aber dann durchaus als "`eine erste demokratisch legitimierte Institution transnationalen Regierens, keineswegs bloß eine Spielwiese kosmopolitischer Spinner..."'61, eine unangemessen wohlwollende Beschreibung, zumal Leggewie selber im gleichen Atemzug auch gleich die Nichtrepräsentativität der Wahlregionen konstatiert - "'Gewählt werden soll in fünf Weltregionen, eine davon `Europa'.62 Aber das Wahlvolk, wie es sich abzeichnet, repräsentiert die weltweite Netzbürgerschaft noch ungleicher, als schon die generelle Wissenskluft ausfällt..."' Nicht überraschend waren dann auch die Wählerzahlen: 11 000 Wähler in Europa und 130 aus Afrika.63 Andy Müller-Maguhn, Pressesprecher des Chaos Computer Clubs, der als europäischer Abgesandter ins ICANN-Direktorium gewählt wurde, polemisierte nach der Wahl:

"`...die amerikanische Regierung sollte sich eigentlich mal mehr um ihr Bildungswesen kümmern anstelle zu versuchen, den Namensraum zu beherrschen. Gucken sie sich nur mal das geographische Verständnis von ICANN an, das spricht Bände..."'64

Weniger heftig fällt die Kritik der Bertelsmann-Stiftung aus, die ein ,Legitimationsdefizit' konstatiert und bezüglich der geringen Wahlbeteiligung die Diagnose stellt, "`dass der optimale Modus noch gefunden werden muss."'65

Interessanterweise wurde seitens der ICANN selber die "`Demokratisierung"' teilweise auch bestritten. So überraschte im Vorfeld der Wahlen der Policy- und Financial Officer der ICANN mit der Aussage "`Die ICANN ist in einem gewissen Sinne keine demokratische Institution, aber sie versucht sich auf Verfahrensstrukturen zu einigen."'66 Vielmehr ,beinhalte' die Struktur von ICANN auch demokratische Elemente, jedoch sei sie keine Regierung und daher auch nicht demokratisch zu nennen. Dessen ungeachtet setzt ICANN selbstverständlich Regulierungen von öffentlichem Interesse, beschneidet die Rechte der einen Nutzer und erweitert die der anderen, was durchaus als ,Regierungstätigkeit' betrachtet werden kann.

Die Prozedur, wer dann letztendlich der neunzehnköpfigen Regierungstruppe angehören sollte, war darüber hinaus von weiteren Demokratiedefiziten geprägt, welche die ganzen Wahlen letztendlich zu einer Farce machten. So sind mit fünf der neunzehn Mitgliedern nur eine Minderheit des Direktoriums überhaupt durch Wahl legitimiert. Dennoch wurde auch auf diese fünf Plätze massiv Einfluss genommen, um die Wahrscheinlichkeit der Nominierung ,industriefeindlicher' Kandidaten zu minimieren. So wurden für diese Plätze sowohl Privatpersonen als auch Vertreter der Industrie nominiert, obgleich letztere bereits den Großteil der ,ungewählten' 14 Direktoren stellen. Im Verlauf dieses Prozesses wurden schließlich pro Region die zwei Personen mit den meisten Fürsprechern nominiert. Diese wurden wiederum zusammen mit fünf weiteren, durch die ICANN ohne vorausgehende Wahl nominierten Personen als Wahlkandidaten aufgestellt.67

Die Wahl selber wurde unter technischer Regie des US-amerikanischen Unternehmens election.com ohne jegliche Schirmherrschaft oder Kontrolle durch eine internationale Organisation durchgeführt.68 Das angewendete "`Single Transferable Vote"' ist umstritten.69 Registriert waren zum Wahltermin 0.53 Promille der schätzungsweise 300 Millionen wahlberechtigten70 Netznutzer. Von diesen 158.000 Personen wählten dann letztendlich etwas über 70.000 Personen, während des Wahlzeitraums waren technische Pannen wie die Nichterreichbarkeit der Wahlseiten an der Tagesordnung. ICANN selber war von vermuteten 10.000 Wahlwilligen ausgegangen.71 Dementsprechend mangelhaft war Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik der ICANN. Die Webseiten der KandidatInnen waren zeitweise aktueller als die offizielle Seiten der ICANN, was die Änderungen und Verlängerungen von Wahl- und Nominierungsfristen anging, und noch bis heute (6/2001) befinden sich WWW-Dokumente auf der ICANN-Webpräsenz, in denen die bevorstehende Wahl angekündigt wird.


next up previous contents
Next: 4 ICANN und das Up: 3 Durchsetzungsphase: Das Netz Previous: 2 Ein Experiment in   Contents
Richard Joos; 6. Februar 2002