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4 ICANN und das Markenrecht

Nach einigen Fällen von Domaingrabbing - bekannte Markennamen wurden registriert und dann den betreffenden Firmen teuer verkauft - setzte sich die Betrachtungsweise, Inhaber von Markenrechten hätten einen legitimen Anspruch auf die zur Wortmarke gehörige Domain, durch und wird von der ICANN auch resolut umgesetzt. Seitdem stellt das Registrieren bekannter Domainnamen kein Mittel zum schnellen Gelderwerb mehr dar, sondern ein Risiko für eine Klage auf Verletzung des Markenrechtes und der Rechte des intellektuellen Eigentums. Hierbei sind die Gerichtsstandorte gewöhnlich der Standort des Registrars, bei Nicht-Länderdomains dementsprechend die USA. Oft wird jedoch die Verhandlung an die WIPO* übergeben, die ihren Sitz in Genf hat. 61% der Fälle werden vor der WIPO ausgetragen, andere für diese Verhandlungen von ICANN akkreditierten Institutionen sind beispielsweise das National Arbitration Forum (NAF) in den USA und, eResolutions in Kanada. Die Unterschiede im Stattgeben oder Ablehnen einer Klage sind immens: während bei eResolutions 51% der Klagen erfolgreich sind, sind es bei der NAF 81% und bei der WIPO 82%. Diese Unterschiede sind beachtlich, liegen doch allen Institutionen dieselben Handlungsrichtlinien zugrunde, die von der ICANN 1999 erstellte UDRP, der ,uniform dispute resolution policy'.72 Diese sollte ein einfaches, billiges Standardverfahren zur Lösung von Domainnamensstreitigkeiten schaffen. Einer Klage sollte demnach stattgegeben werden, wenn die folgenden drei Sachverhalte gegeben sind:

"`4 (a) i
The domain name is identical or confusingly similar to a trademark or service mark in which the complainant has rights; and
4 (a) ii
The registrant has no rights or legitimate Interests in respect of the domain name; and
4 (a) iii
The domain name has been registered and is being used in bad faith."'73

rm Der Formulierung nach müssen alle drei Bedingungen zutreffen, nichtsdestoweniger wurde beispielsweise der Klage von Guinness gegen die Inhaber der Adresse www.guinness-beer-really-sucks.comtrotz minimaler Verwechslungsgefahr mit dem Unternehmen selber stattgegeben.74 Dementsprechend wird zum einen die Position von Markeninhabern gestärkt, folgenschwerer dürfte aber die Verunsicherung auf der Seite der Internetnutzer ohne Rechte an den betroffenen Wortmarken sein. Die Gründung und Vernetzung von Verbraucherorganisationen oder kritischen Gruppen zu Konzernen oder Produkten wird durch die Verunsicherung merklich erschwert. Zwar ist diese Vernetzung ebenfalls unter unverfänglicheren Domainnamen möglich, nichtsdestoweniger bedeuten solche Unterscheidungen die fortgesetzte Privilegierung von Markeninhabern.

In seiner ,Regierungserklärung' stellt Müller-Maguhn sehr drastisch seine Vorstellung von einem optimalen Internet und dem, was ,die Juristen' daraus machen wollen, dar. Auf einen kurzen Nenner gebracht ist die These Maguhns die, dass Daten und Information frei zugänglich und als Grundrecht jedem weitmöglichst kostenfrei zur Verfügung stehen müssen und dass eine Zensur sinnlos, unumsetzbar und kontraproduktiv sei. Die Bemühungen, im Netz ein Markenschutzrecht durchzusetzen, Inhalte zu unterbinden, kostenpflichtigen Content anzubieten und eventuelle Zuwiderhandlungen juristisch belangen zu können, seien weltfremd und zerstörend für die Kultur des Netzes. Wenn Markenrecht, dann höchstens in einem separaten Namensraum, es müsse aber gewährleistet sein, dass es immer Regionen im Netz gäbe, in denen Markenrecht nicht gilt.

"`Aber die Regierung, ICANN, hat das nicht gewollt [...] Und das nervt nicht nur, das ist ein Verbrechen. Ein Verbrechen an der Sache, ein Verbrechen am öffentlichen Kulturrum Internet. Was die Juristen ,geistiges Eigentum' nennen ist - das weiß jeder Lateiner - nichts weiter, als ein Diebstahl am öffentlichen Raum."'75

Man mag dieser drastischen Stellungnahme mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen, jedoch ist bereits feststellbar, dass die momentane Durchsetzung von Markenrechten die Möglichkeiten, im Internet schaffend aktiv zu werden, zunehmend zum Risiko macht. Indem die Verwendung geschützter Begriffe kriminalisiert wird, wird ein Klima geschaffen, in welchem eine wirkungsvolle Selbstzensur greifen kann. Momentan laufende Massenabmahnungen betreffen Begriffe wie Webspace, Explorer, Ballermann, Harry Potter, Big Brother, Webtransfer usw.76 Die Markeneigentümer der ersten drei Begriffe werden durch den einschlägig bekannten Anwalt Günter Freiherr von Gravenreuth vertreten, der bekannt dafür ist, keine Unterlassungsaufforderung zu schicken, sondern sofort gebührenpflichtig abzumahnen.

Um Verwechslungen vorzubeugen: eine Anzahl dieser Abmahnungen bezieht sich nicht nur auf den Gebrauch des geschützten Begriffs in einem Domain-Namen, sondern bereits dem Anbringen von Links auf eine so benannte Seite oder einem so benannten Programm. ,Explorer' ist ein im Softwarebereich von der Firma Symicron geschützter Begriff, welcher als Programmbezeichnung geschützt ist, während Harry Potter als Bestandteil von Domainnamen von Time Warner und Big Brother ebenfalls als Bestandteil von Domainnamen abgemahnt wurde.


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Richard Joos; 6. Februar 2002