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4 Zusammenfassung

Zentrales Ergebnis der vorangegangenen Erörterung ist, dass in der Technikgenese sehr wohl Prozesse stattfinden, die von Herrschaftseliten zwar nicht gezielt beeinflusst werden können, und weiterhin ebenso neue Technologien geschaffen werden, die durchaus emanzipatorische Qualitäten haben könnten. Nichtsdestotrotz ist durch die massive Durchdringung der Institutionen, welche den technischen Fortschritt vorantreiben, der ständige Zugriff der Herrschaftseliten auf mögliche Ergebnisse weitgehend gewährleistet. Spätestens mit der Etablierung eines neuen Produktes wird es der umfassenden Gültigkeit der Kapitalverwertungslogik unterworfen, nach der jedes Ergebnis technischen Fortschritt sofort als kapitalisierbare Ware aufgegriffen und verwertet wird. Technik als solche ist per se nicht in der Lage, sich dieser Vereinnahmung und Dienstbarmachung in irgend einer Form zu entziehen. Es mögen Anfänge der Entwicklung, die Forschung selbst und die Bekanntgabe der Ergebnisse frei sein von Herrschaftsinteressen, unabhängig und autonom stattgefunden haben, gesellschaftlich relevante Technologie wird aber schlussendlich immer in den Prozess der Herrschaftssicherung und der Kapitalverwertung reintegriert. Durch Umdeutung von Entwicklungen und Vereinnahmung selbst der für ,emanzipatorischen Gebrauch' gedachten Fortschritte der gesellschaftlichen Verfügbarmachung wird Technik in den Dienst existierender Herrschaftsstrukturen gestellt.

Technik kann so massiv zur Stützung bestehender Verhältnisse beitragen, indem sie an eben diese Verhältnisse angepasste Produktionsweisen schafft und gleichzeitig die Gesellschaft von ihrem weiteren Fortschritt abhängig macht, ohne Grund- oder Folgeprobleme tatsächlich unbedingt zu lösen. Die These, dass dies in einer wie auch immer gearteten ,Natur' der Technik liegt, muss jedoch abgelehnt werden, monokausale und deterministische Ansätze werden der Komplexität des Wechselspiels zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und der gesellschaftlichen Adaption von Technik nicht gerecht. Ebenso wenig kann systemtheoretischen Positionen Recht gegeben werden, die den vordergründig eliminierten Technikdeterminismus durch die Indifferenz des operativ geschlossenen Techniksystems gegenüber seiner Umwelt oder gesellschaftlichen Akteuren hinterrücks wieder einführt und ,Strukturlogik' an die Stelle des Determinismus stellt.

Nichtsdestoweniger ist die Argumentation der Berufung auf unausweichlich in bestimmte Richtungen gehende Technikfortschritte eine gängige Legitimationsstrategie geworden. Mit dem Hinweis auf die Freiheit der Forschung und der Unausweichlichkeit der Entwicklung werden inzwischen sogar für ethisch verwerflich zu haltende Projekte gerechtfertigt, da im Zweifelsfall unverantwortlichere Personen die entsprechende Forschung machen würden. So kann das öffentliche Bild einer Technik aufrechterhalten werden, welche einerseits alternativlos im Rahmen ihrer eigenen Systemlogik ein Optimum an Fortschritt bei einem Maximum an erreichbarer Sicherheit suggeriert, andererseits aber konkreten Herrschaftsinteressen zugute kommt und sie stützt. Technikkritik aus den Reihen der NichtexpertInnen ist meist beschränkt auf die polarisierenden Themen Gentechnik, chemische Industrie und Atomenergie. Die Neuen Medien beziehungsweise das Internet tauchen als Thema in der populären Technikkritik meist in ihren Aspekten der Förderung von Vereinsamung und Isolationismus sowie den möglichen Gefahren in Bezug auf Copyrightverstöße einerseits und Jugendschutz andererseits auf. Die Folgen der Stützung von geltenden Herrschaftsstrukturen werden von den gemeinhin als handlungs- und entwicklungsprägenden AkteurInnen betrachteten Institutionen in sehr eingeschränktem Maß wahrgenommen oder utopischen Modellen von ,Cyberdemokratie' oder dem grundsätzlich als emanzipatorisch dargestellten Charakter der neuen Medien bedeutungsmäßig untergeordnet.


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Richard Joos; 6. Februar 2002