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4 Das Internet als Gegenstand der Techniksoziologie

Bezieht man die allgemeinen Erkenntnisse über das Wechselverhältnis von Technik und Gesellschaft nun konkret auf das Internet, so sind viele davon direkt abbildbar. Symptomatisch ist die Finanzierung der Anschubentwicklung durch das amerikanische Verteidigungsministerium. Eine über längere Zeiträume konsistent auf einen einzigen Zweck hin ausgerichtete Entwicklung war nicht zu beobachten, Motive und Ziele wechselten in der Entwicklung des Net mehrfach. Technische Weiterentwicklungen führten zu nicht vorhergesehenen sozialen Implikationen, ebenso führten soziale Bedürfnisse zur Implementierung weiterer technologischer Fortschritte. Dieser Prozess des sich wechselseitigen Bedingens technischer und sozialer Veränderungen und Entwicklungen im Internet lief lange Zeit weitgehend unbeachtet von klassischen Herrschaftsinstanzen. Von einer weitreichenden Autonomie der entwickelnden Forscher und TechnikerInnen kann für einen recht langen Zeitraum ausgegangen werden, diese Autonomie wurde zur Grundlage einer beispiellosen virtuellen, akademischen Gegenkultur, die in aufwändigen Prozessen bislang nur unvollständig wieder den Ansprüchen der Herrschaftseliten angepasst werden konnte.

Während der Entwicklung war jedoch zweierlei festzustellen: wie einerseits das Netz zur Projektionsfläche von allerlei Mythen und Idealen wurde, welche mit einer stichhaltigen Erörterung aus techniksoziologischer Perspektive oftmals nichts mehr zu tun hatte, und wie andererseits ein massiver Zurichtungsprozess einsetzte, welcher ohne Rücksichten auf Ideologien, soziale oder ökonomische Faktoren oder Partikularinteressen das Netz für die Kapitalverwertung nutzbar machte und in den Möglichkeiten und Grenzen an die Erfordernisse der Ökonomie anpasste.

Im Folgenden möchte ich kurz umreißen, wie verschiedenartig die Zuschreibungen, Perspektiven und gesellschaftlich relevanten Dimensionen der Technologie Internet waren, und in den folgenden Teilen der Arbeit versuchen, die vielfältigen sozialen Dimensionen des Internet auf zwei Schlüsselgrößen zurückzuführen, nämlich die des Eigentums und die der sozialen Kontrolle.

Das Internet bildet zum jeweiligen Zeitpunkt eine Schnittmenge aus technischem Substrat und einer mit diesem zusammenhängender Gesellschaftsentwicklung (hier ungeachtet der Wechselbeziehung zwischen technischem Fortschritt und gesellschaftlicher Entwicklung). Die kontroversen Gegenpositionen kann man differenzieren in die den Technikaspekt vollkommen verneinende These, die beispielsweise von Marchart in ,netzkritik' einerseits vertreten wird, der trocken behauptet: "`Das Internet hat nichts mit Technik zu tun - und zwar, weil Technik selbst nichts mit Technik zu tun hat, sondern etwas mit popularen Geschichten...."'. und sich gegen den Technikdeterminismus wendet, den ein Begreifen des Internet als reine Technik implizieren solle. Er wirft einer rein technischen Analyse des Internet vor, willentlich gegen die politische Kritik des Netzes immunisieren zu wollen.137 ähnlich argumentieren Ansätze, die das Netz vordringlich als neuartigen Sozialraum betrachten, die wiederholten Beschwörungen des Rechners und des Internet als Universalmedium, in welchem die Konvergenz der bisherigen Medien ihren Kulminationspunkt findet, die aber immer als Medien, als gleichermaßen substratlose Kommunikationskanäle betrachtet werden und unabhängig von technischer Planung und der Herstellung von Artefakten existieren und funktionieren.138 Die Verflechtung zwischen technischen Möglichkeiten und sozialen Folgen wird dabei weitgehend ausgeblendet. Diese Position ist heute weitgehend aus dem Diskurs verschwunden, wurde aber noch bis weit in die 90er vertreten und fand ihren Kulminationspunkt in der bereits angeführten ,Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace' von John Perry Barlow.

In die völlig entgegengesetzte Richtung laufen Metaphoriken, die am Netz vor allem den Charakter des technischen Substrats betrachten, welches bestimmte Prozeduren, meist ebenfalls abstrakt-technisch gedacht, ermöglicht, erleichtert und/oder effizienter macht. Typisch für diese Betrachtungsweise ist die ,Datenautobahn'-Metapher, die 1992 von Al Gore erstmals aufgebracht wurde und schnell in Deutschland adaptiert wurde:

"`Im März 1994 bittet der Spiegel den Präsidenten der Electronic Frontier Foundation zu einem Gespräch über Chancen und Risiken der Datenautobahn. Die Fachpresse fragt besorgt: ,Multimedia und Information Highways - Wo sind die Deutschen?' Im Juli signalisieren die VDI-Nachrichten Entwarnung: ,Erste Schritte auf der Daten-Autobahn'. Forschungsminister Krüger verwickelt Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft in einen ,Innovationsdialog' zu ,Information-Highways' und stellt vor der Wissenschafts-Pressekonferenz Pilotprojekte seines Hauses zur Telekooperation vor..."'139

Mit der Metaphorik der Autobahn verbindet man vor allem reibungslosen (Daten ) Verkehr, Transport eines immateriellen anstelle eines materiellen Guts durch Kabel anstelle über Asphalt. Symptomatisch ist das Herausfallen der sozialen Implikationen, der möglicherweise persönliche Charakter der transportierten Daten und die gesellschaftliche Dimension des Datenverkehrs. Die Datenautobahn, als Begriff interessanterweise allenfalls im öffentlichen und bürokratischen Bereich verbreitet, setzte sich im Netz selber niemals durch, wo die Raummetapher des Cyberspace vorherrschte, welche auf William Gibson zurückzuführen ist, oder die Fortsetzung dieses Gedankens durch Florian Rötzers Metaphorik der digitalen Stadt oder Telepolis.

Diesen einseitigen Ansichten der Vernetzung gegenüber stehen die von Bühl dargestellten Bilder des Rechners und des Netzes als Universalmaschine, als Denkzeug im Sinn der anthropologischen monokausalen Techniktheorie. Mittels der technischen Lösung Computer werden Beschränkungen des Menschen aufgehoben. Der Rechner fungiert als Universalmaschine, die ab einer gewissen Komplexität jede andere Art von Maschine simulieren kann und somit zu einem universalen Gerät zum Simulieren anderer Maschinen wird. Dadurch ist er eine "`Nicht-Maschine"', welche als "`zweckfreies Ding [...] eine Art Simulat"'140 darstellt. Als solches ist er ein Mittel der Effizienzsteigerung, implizite soziale Folgen müssen damit nicht verknüpft sein, der Rechner wurde auf seine universale Anpassbarkeit reduziert, mittels der er jede Art der Datenverarbeitung ausführen kann, jedoch fällt auch hier der Kommunikationsaspekt am Rechner selbst weg, er stellt nur das Substrat dar, auf dem die Maschinen aufsetzen, die er simuliert, und die ihrerseits sozial wirksam werden.

Näher an der Netzcommunity und ebenso näher am tatsächlichen, sozialen Charakter des Internet haben die Browserhersteller die Netzmetaphorik geprägt: hier überwiegen Termini aus Forschung und Schifffahrt. Das Netz wird mit dem Explorer "`erkundet"', der Navigator bedient sich ausgiebig der Symbolik der Seefahrt, auch die (unpassende) Bezeichnung des "`Surfens"' gehört in diesen Kontext, man erkundet oder navigiert sich durch die Informationsflut usw. Anders als bei den reinen Beschreibungen technischen Substrats gelangt hier das handelnde Subjekt als Akteur in die Metaphorik des Netzes hinein und setzt sich mit seiner Größe, Unübersichtlichkeit etc. auseinander, im ,Erkunden' ist ebenfalls schon die Möglichkeit der Interaktion nicht nur mit den erreichbaren Daten, sondern auch die mit anderen Individuen angelegt.

Den Schritt, die Auswirkungen auf die zu erwartenden Effizienzsteigerungen in der Kapitalverwertung und - positiv gewendet - auf die Alltagssituation der Menschen, ihre soziale Situation auszuweiten, macht Dyson mit ihrer These des sich global frei die besten Jobs, die besten Waren und die besten Dienstleistungen aussuchenden Individuums141, Kroker und Weinstein pessimistisch gewendet mit ihrer Prognose der fortschreitenden Virtualisierung von Kapital bei gleichzeitiger Regionalisierung von Arbeit, dem Zurückbleiben der Benachteiligten in desolaten materiellen und informationellen Verhältnissen.142

Neugeschaffene Kommunikationskanäle wurden ebenso als gesamtgesellschaftliche Chance betrachtet. Die virtuelle Agora, neue Partizipationsformen der Bürger an gesellschaftlichen Prozessen, gesellschaftliche Emanzipation durch die Aufhebung des Monopols der Massenmedien in der politischen Information und Willensbildung wurden und werden als technisch-gesellschaftliche Potentiale betrachtet. Bühl führt Enzensberger mit Charakteristika ,emanzipatorischen' Mediengebrauches mit einem Anforderungskatalog an, der sich wie eine Beschreibung der Merkmale des Internet liest: dezentralisierte Programme, jeder Empfänger ein potentieller Sender, Interaktion der Teilnehmer, gemeinsame Produktion, gesellschaftliche Kontrolle durch Selbstorganisation usw.143

Für Habermas ist Öffentlichkeit eine der grundlegenden Charakteristika einer modernen, emanzipatorischen Gesellschaft. Öffentlichkeit muss allen BürgerInnen die Möglichkeit der Teilhabe bieten, allen Themen offen stehen und jedem die Möglichkeit geben, diese Themen einzubringen.144 Auch hier findet man viele der Zuschreibungen, die an das Internet herangetragen werden, Bühl schreibt der Etablierung des Internet einen ähnlichen Stellenwert zu wie Habermas seinerzeit der Etablierung der Massenmedien.145

Technik selbst betrachtet Habermas dagegen als ein Sublimat von Ideologie. In diesem Sinn kann man Technik als ,geronnene' Gesellschaftsstruktur begreifen und den Widerspruch zwischen sozialen Phänomenen und technischem Substrat auflösen. In eine ähnliche Kerbe schlägt Lessig mit seiner ,Code is Law'-These, die die scheinbare ,Gegebenheit' von Technik auflöst in ihre sozialen Hintergründe und ihre Kontingenz. Daraus folgt das Gewolltsein der faktisch beobachtbaren Ausprägungen möglicher Formen der gesellschaftlichen Umsetzung technischer Möglichkeiten. Geleitet von Vorstellungen des nichtvirtuellen Raums werden gezielt Kommunikationshemmnisse im Internet entfernt, andererseits durch die Technik als solche nicht bedingte Grenzen gezielt neu geschaffen.

Um all diese Einzelaspekte zusammenzuführen, will ich sie auf grundlegende Eigenschaften des Netzes zurückführen, die Gegenstand der folgenden Analyse sein sollen. Das Netz beeinflusst Kommunikation, Arbeit, Produktion und nationale Politik, es verändert den Begriff von Öffentlichkeit und den der gesellschaftlichen Teilhabe. Die Richtgrößen dahinter sind die grundlegende Erweiterung und Veränderung der Begrifflichkeit von Eigentum, indem mittels des Internet jegliche digitalisierte Information gleichermaßen Warencharakter als auch potentielle Allverfügbarkeit erreicht, andererseits diese Verfügbarkeit sowohl durch materielle Voraussetzungen als auch durch künstliche Einschränkungen wieder eingeschränkt bis abgeschafft wird. Somit sind die beiden zentralen Kategorien, anhand derer das Internet Gegenstand der soziologischen Analyse wird,

Der zweite Aspekt der Kontrolle ist der über das Bild des Netzes, seiner Metaphoriken, der Möglichkeiten und Gefahren, die es impliziert. Dazu gehört die Zurichtung des elektronischen öffentlichen Raums auf die Bedürfnisse des Marktes äquivalent zur Zurichtung des (nichtvirtuellen) öffentlichen Raums auf Konsum und Verwertung von Arbeitskraft. Beispielsweise wird das Netz einerseits als Mittel der besseren Verwertbarkeit von Arbeitskraft, als Standortvorteil und unabdingbares Qualifikationsfeld für den zukünftigen Arbeitnehmer dargestellt (peinlicherweise wird auch und gerade seitens der Politik von netz- und computertechnisch vollkommen inkompetenten Menschen Erziehung zur Medienkompetenz verlangt147). Die den Interessen des Kapitals und der Herrschaftseliten unzuträglichen Aspekte werden jedoch kriminalisiert (man vergleiche den inzwischen vorherrschenden Bedeutungsgehalt der Bezeichnung des "`Hackers"' mit dem, der in der Hackerethik angelegt ist,148 oder die Debatte über die Zulässigkeit starker Kryptografie für Privatpersonen) oder mittels der bekannten Hinweise auf die mögliche Verwendung durch die Schreckgespenste Kinderpornografie und rechtsextreme Propaganda in ein zweifelhaftes Licht gerückt. Auch hier übernehmen Herrschaftseliten die Kontrolle über Technologien, indem gezielt öffentliche Meinung gesteuert wird, in Richtungen, die während der Entwicklung der Technik weder vorhergesehen noch erwünscht waren.

Diese zwei Schlüsselbereiche für Instrumentalisierungen und Vereinnahmungen von Technik sind die zentralen Gegenstände der nächsten zwei Teile der Arbeit.


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Richard Joos; 6. Februar 2002