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3 Entwicklungshilfe oder fortgesetzte Ausbeutung?

Auch ein Ansiedeln von Industrie im Land selbst, die Schaffung von Arbeitsplätzen und eine vergleichsweise gute Bezahlung sind nicht per se Vorteile für die betroffenen Länder. Modellcharakter hat die indische Softwarehochburg Bangalore. Hier haben eine Reihe von westlichen IT-Unternehmen investiert und eine sehr produktive Region geschaffen, in der überwiegend für Westkonzerne Programmcode geschrieben wird (Der Exportanteil der in Bangalore geschriebenen Programmzeilen liegt bei 60%). Angesichts attraktiver Standortbedingungen und Begünstigungen ausländischer Investoren entstehen auch weiterhin indische Technologieparks, in welchen die vom indischen Staat ausgebildete Programmierer für Monatslöhne zwischen $150 und $300 Programme für ausländische Unternehmen schreiben. Die Exporterlöse decken bislang jedoch nicht die im Land angefallenen Ausbildungskosten.

Die Bevölkerung Bangalores wuchs im Zug seines Aufstiegs binnen kurzem von 3 auf 6 Millionen an. Parallel zu dieser Entwicklung verslumte Bangalore zusehends, die Mieten stiegen, die Wasser- und Stromversorgung wird kontinuierlich schlechter.213 Abgesehen von diesen lokalen Veränderungen kann eine gesamtgesellschaftliche Wirksamkeit einer Technologieinsel wie Bangalore jedoch nicht festgestellt werden:

"`Beispiele wie Bangalore zeigen, dass sich der Reichtum nur auf eine bestimmte Region und eine bestimmte Schicht bezieht und der Großteil der Bevölkerung weder wirtschaftlich noch in sozialer Hinsicht davon kaum profitiert und der Informationgap sich vergrößert:[...] Bangalore ist eine Wohlstandsinsel, die vom ländlichem Hinterland und von der restlichen Ökonomie isoliert ist."'214

Die Lage des Großteils der Bevölkerung ändert sich dementsprechend durch das Vorhandensein einer Technologieinsel auf Weltniveau wie Bangalore nicht, nicht einmal die Ausstattung der Bevölkerung mit Computern, ungeachtet des Netzzugangs, profitiert nennenswert davon. Selbst im informationstechnisch völlig rückständigen Afrika haben 0,88% der Bewohner einen Rechner, im IT-Vorzeigeschwellenland Indien dagegen können sich dagegen immerhin 0,33% einen solchen leisten.215 Das technologische Aufholen der Entwicklungsländer kann demnach häufig genug vollkommen einseitig den Interessen der Industriestaaten zugute kommen.

Modernere Varianten eines ,überholen ohne einzuholen' werden durchaus kontrovers diskutiert, da es bereits einige afrikanische Länder gibt, die die Phase von Telekommunikation via Kupferkabel komplett überspringen werden, Botswana und Ruanda haben einen fast doppelt so hohen Prozentanteil von Glasfaserleitungen als die USA - fast 100% gegenüber ungefähr 50%.216 Doch selbst wenn diese Entwicklung durchgehalten werden kann und in einem überschaubaren Zeitrahmen zum Abschluss kommt (was fraglich ist: Afemann kommt auf einen Investitionsbedarf von knapp $1,5 Billionen, wenn man China, Indien, Nigeria und Brasilien auf das Weltniveau von 15 Netzzugängen pro 100 Einwohner bringen wolle217), stellt sich die Frage nach der Bedeutung des ,Aufholens' und den Opfern, die zwangsläufig an anderen Stellen dafür gebracht werden müssen.

Weshalb somit ausgerechnet der Faktor Vernetzung den primären Lösungsansatz der Entwicklungsprobleme der Trikontländer darstellen soll, ist schwierig nachvollziehbar. Nachdem Marktliberalisierungen oft genug nur lokale Märkte zerstört haben, soll als Heilmittel nun auch bezüglich der Dienstleistungen und der Medien liberalisiert werden.

Zu der krassen Kluft zwischen vorhandener und aufzubauender Infrastruktur bei gleichzeitigem Mangel an elementareren Grundbedürfnissen lasse ich Robert Verzola in einer längeren Passage zum Beispiel der Lage auf den Phillipinen zu Wort kommen, wo die Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Trinkwasser das Primärproblem darstellt:

"`Nehmen wir dennoch einmal an, die Phillipinen könnten es sich leisten, Investitionen in anderen Bereichen wie der Landwirtschaft, der Gesundheitsversorgung usw. zu kürzen, um das Geld in seine Informationsinfrastruktur umzulenken. Wären wir dann in der Lage, auf dem Weltmarkt mitzuhalten, wie ihre Verfechter versprechen? Um diese Frage zu beantworten, stelle man sich vor, wie ein gigantisches futuristisches Finanzinstitut in den USA diese Technologien bei automatisierten internationalen Finanztransaktionen einsetzen könnte: Computer, die ohne Beaufsichtigung rund um die Uhr die globalen Finanzmärkte nach Chancen absuchen, automatisch Entscheidungen treffen und eine Finanztransaktion innerhalb einer Sekunde abschließen und solche Geschäfte 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr ausführen. Man vergleiche nun diese hypothetische Firma mit einem Investor, der eine Stunde braucht, um eine Transaktion mit einer Profitmarge von 0.1% abzuschließen. [...] erstere wird ihr Kapital in 23 Minuten verdoppeln, während letzterer dafür zwei Monate benötigt."'218

Bei angenommenen 0,000001% Profit beträgt das Verhältnis 16 Tage gegen 158 Jahre. Verzola folgert daraus, die informationstechnische ,Aufrüstung' der Entwicklungsländer vergrößere allenfalls die Absatzmargen der Computerhersteller, nicht jedoch die Lage der Normalbevölkerung, die sich angesichts fehlender Mittel in anderen Bereichen eher verschlechtern dürfte. Aus der Sinnlosigkeit dieser Maßnahmen kann man schließen, dass die Spaltung zwischen den ,vernetzten' und den ,nichtvernetzten' Ländern nicht nur zunimmt, sondern dies darüber hinaus mit immer größerer Beschleunigung tut: "`Wenn unser Finanzsystem online geht, beschleunigen wir bloß den Prozess, mit dessen Hilfe der Reichtum aus unserem Land abgeschöpft wird."'219 Angesichts der dringenderen anstehenden Probleme ist der Versuch zwecklos, die Industrieländer gerade auf ihren traditionellen Vorrangpositionen einholen zu wollen, die Resultat von jahrzehntelangen Investitionen in Hochtechnologie sind. So die Ergebnisse von Becker und Salamanca::

"`Internationales Online-Outsourcing bedeutet für die Länder des Südens in erster Linie, knappe wirtschaftliche Ressourcen mobilisieren zu müssen, um Telekommunikationsnetze zu legen, die erst die internationale Telearbeit ermöglichen. Dieselben Fehler, die in der Nachkolonialzeit begangen worden sind, werden hier wiederholt: Anstatt in den Auf- und Ausbau einer Infrastruktur zu investieren, die der Befriedigung der Bedürfnisse der heimischen Industrie und Bevölkerung dient, fließen die Gelder in die Errichtung von Anlagen für den Export von Rohstoffen und neuerdings auch in Dienstleistungen."'220


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Richard Joos; 6. Februar 2002