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4 Anpassungsdruck auf regionale Kulturen

Gibt es für die etablierten Medien Radio, Kino und TV teilweise erfolgreiche Strategien zur Adaption derselben an die lokale Kultur (man denke an die Bollywood-Filmindustrie und Globo in Brasilien) so besteht diese Möglichkeit in Bezug auf das Internet nur in einem geringeren Maß. Die Technologie ist selbst nicht in dem Sinn regionalisierbar, wie es beispielsweise ein lokaler TV-Sender ist, sondern lebt gerade davon, dass sie eine Verbindung zu einer bereits existierenden Struktur herstellt. Deren Sprache und Organisation ist geprägt vor allem durch die USA und Europa. Während ein Film komplett synchronisiert oder neu gedreht werden kann, sind die dem Netz zugrundeliegenden Protokolle, Anwendungen etc. für gewöhnlich Produkte der Länder der Triade, die hier, um mit Ortmann zu sprechen, einen globalen kulturellen Lock-In der Netztechnik geschaffen haben.

Auf der anderen Seite wird die für andere Medien typische Nord-Süd-Informationseinbahnstraße durch das Netz durchaus teilweise relativiert. Bei den klassischen Medieninstitutionen (Nachrichtenagenturen und Fernsehen) verläuft der Transport von Inhalten gewöhnlich von Norden nach Süden. Otterstetter führt in ihrer Diplomarbeit die Erkenntnisse der von der UNESCO eingesetzten McBride-Kommission an:

"`...
  1. Die internationalen Informationsstrukturen folgen ökonomischen Strukturen.
  2. Diese Informationsstrukturen werden von global operierenden Medienkonzernen wie z.B. Bertelsmann errichtet.
  3. Je moderner die Medien- oder Informationstechnologie ist, desto mehr steigt die Abhängigkeit von den Metropolen.
  4. Medien- und Informationstechnologien, die in der Regel von westlichen Medienkonzernen in die Dritte Welt exportiert werden, sind in den wenigsten Fällen auf die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen zugeschnitten.
  5. Der Informationsfluss verläuft einseitig von Nord nach Süd."'221

Diese Eigenschaft der alten Medien muss jedoch durch das Internet nicht notwendigerweise automatisch fortgesetzt werden. In Bezug auf die Netzinhalte sind die Möglichkeiten teilweise besser. Mit Unicode wird ein Zeichensatz geschaffen, welcher prinzipiell sämtliche relevanten Schriftsprachen codieren kann, weiterhin wird die augenblickliche Allgegenwart des Englischen als Lingua Franca des Internet mit dem anwachsenden russischen, chinesischen und japanischen Netzangebot durchaus relativiert. Während in Europa und den USA der Markt langsam Sättigungserscheinungen zeigt, liegt in den asiatischen Märkten noch großes Entwicklungspotential. Die Dominanz US-amerikanischer Netzinhalte dürfte damit in absehbarer Zeit gebrochen werden, wohingegen eine ,globale Demokratisierung' der regulierenden Instanzen offenbar nicht zu erwarten ist.

Problematisch bleibt dennoch das auf Dauer umfangreichere Angebot an elektronischen Medien aus den USA, den europäischen Ländern und vor allem das Angebot auf Englisch. Mit dem Medium wird eine auf absehbare Zeit bessere Informationsstruktur aus dem Norden in den vernetzten Entwicklungsländern installiert, die lokalen Informationsstrukturen leistungsmäßig überlegen ist. Gleichzeitig werden die angesichts ihres langen Wachstums ohne eine Miteinbeziehung anderer Kulturräume dominanten Inhalte des angloamerikanischen und europäischen Angebots elektronischer Medien mittelfristig in die neu angebundenen Länder transportiert und die dortige Medienlandschaft nachhaltig prägen. Otterstetter zitiert den indischen Wissenschaftler Arunachalam sehr anschaulich:

"`Nehmen wir eine indische Mittelschichtsfamilie. Sie arbeitet hart und verzichtet auf allerlei Genuss, damit sie einen Computer anschaffen kann, der den Kindern einmal zu einer besseren Zukunft verhelfen soll. Die Kinder schieben dann das Encarta-Lexikon in das CD-ROM-Laufwerk - doch dort erfahren sie fast nichts über Ramayana, Gita, Mahabharata, Mahatma Gandhi oder die Freiheitsbewegung. Bald werden die Kinder mehr über westliche Kultur wissen als über ihre eigene. Geliehene Geräte transportieren oft geliehenes Wissen. Wer heute in Indien einen Multimedia-Computer kauft, bekommt eine Menge Gratisprogramme dazu - kein einziges mit indischen Inhalten."'222

Aufgrund der besseren Möglichkeiten in den Ländern der Triade, unentgeltlich Informationen zur Verfügung zu stellen, wird dieses Ungleichgewicht auf weiteres bestehen bleiben. Ein Phänomen wie die Open-Source-Community ist nur bei einem gewissen Grad der Handlungsentlastung möglich, der es den einzelnen erlaubt, ihren Zielen neben der normalen Erwerbsarbeit nachzugehen. Diese Handlungsentlastung ist in einem Entwicklungsland nicht in vergleichbarem Maß und nur für einen verschwindend geringen Prozentsatz der Menschen gegeben. Die Dominanz des Nordens bei der Bereitstellung kostenloser oder -günstiger Angebote wird so auf Dauer gestellt.

Einschränkend zu diesen Betrachtungen muss hinzugefügt werden, dass das Internet angesichts seiner geringen Verbreitung momentan keine Bedrohung der kulturellen Identität des Großteils der Bevölkerung von Ländern des Trikont darstellt. Betrachtet man die Situation in den wirtschaftlich stärkeren asiatischen Staaten, wird deutlich, dass hier auch durchaus ein Austausch stattfindet und Einflüsse auch in den traditionellerweise eher zum ,Kulturexport' neigenden Ländern Europas und Nordamerikas sichtbar werden. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass es die gesellschaftlich prägenden Bevölkerungsgruppen sind, die als erstes über das Internet einem gewachsenen Einfluss der westlichen Welt ausgesetzt sind. So kann die lange Zeit übliche Praxis der indischen Herrschaftseliten, einen Teil ihres Studiums in England zuzubringen, als Kulturaustausch im treffenderen Sinn betrachtet werden. Die moderne Variante der Netzanbindung beendet die Zweiseitigkeit des Austausches, d.h. es findet kein Austausch mehr statt, sondern es wird den bessergestellten gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit gegeben, an der westlichen Kultur teilzuhaben. Der umgekehrte Prozess wird davon entkoppelt und muss nicht mehr notwendigerweise stattfinden. Die an diesen Prozessen nicht teilhabende Bevölkerungsmehrheit wird nicht direkt beeinflusst, jedoch wird sie gesellschaftlich durch ihre ,Rückständigkeit' weniger prägend wirken und von der Steuerung gesellschaftliche Fortschritts abgeschnitten und marginalisiert sein.


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Richard Joos; 6. Februar 2002