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1 Technische Entwicklung

Generell kann man die ,Grundlagen', das Wesen vieler Dienste und Funktionsweisen des Nets beliebig weit in der Geschichte zurückverfolgen. Das elementarste ,Prinzip' von Hypertexten ist so z.B. bereits in dem wissenschaftlichen Usus von Quellennachweisen und Literaturangaben angelegt. Die ,sofortige Verfügbarkeit' von Information wurde schon mit der Erfindung und Installation des ersten Telegrafen postuliert, zusammen mit entsprechenden Prognosen, die gesellschaftlichen Folgen betreffend: von der Erweiterung der Dienstbarmachung der Natur bis hin zur daraus resultierenden finalen Überwindung der Barbarei.1Die ersten Forschungen und Bestrebungen zur Vernetzung von Rechnern fanden in der ,Advanced Research Project Agency' (ARPA*)2 statt. Diese wurde 1958 als amerikanische Reaktion auf den Sputnik-Schock als DARPA* gegründet und diente der Sicherung beziehungsweise der Rückeroberung des technologischen Vorsprungs gegenüber der UdSSR, der nach dem Start des ersten sowjetischen Weltraumsatelliten verlorengegangen zu sein schien. Sie war direkt dem DoD (Department of Defence) unterstellt. Die Institution sollte Forschungen fördern und koordinieren, die an staatlichen und privaten Einrichtungen vorgenommen wurden und sie nach Möglichkeit dem Militär für eine eventuelle Nutzung weitervermitteln. Durch den breit definierten Forschungsansatz ergaben sich hier aber weite Felder der Forschung, die mit dem Militär wenig oder nichts zu tun hatten, jedoch dennoch gefördert wurden.

Der erste vage Entwurf zur Realisierung der Vernetzung von Computersystemen wird J.C.R. Licklinder zugeschrieben, der 1962 das Konzept eines "`Galactic Network"' am MIT diskutierte, noch bevor er zur DARPA* stieß. In den Ideen (ein globales Netzwerk von Rechnern, über welches jedeR einfachen Zugang zu Daten und Programmen bekäme) wird das Internet quasi bereits vorweggenommen.3 Die Idee des paketvermittelten Datenaustauschs wurde bereits 1961 von Leonard Kleinrock, ebenfalls am MIT, erstmals veröffentlicht. 1965 wurden das erste Mal Computer mittels Telefonleitungen zu einem primitiven WAN* (Wide Area Network) verbunden.4

1966 wurde unter der Leitung von Lawrence Roberts das ,ARPANET*' konzipiert, ein Netzwerk der verschiedenen Rechner an den verschiedenen Forschungsstätten der ARPA*5. Die Betrachtung der häufig als Vorläufer des Internet angeführten Vorformen Milnet und Arpanet als rein militärisch motivierte Forschungsprojekte, aus deren ,zivileren' Teilen später das Internet wurde, hielt Roberts für falsch. Sein Wortlaut, plus Kommentar der Interviewer:

"``Es ist ein Gerücht, dass das Internet entwickelt wurde, um einen nuklearen Krieg auszuhalten. Das ist total falsch. Wir wollten ein effizientes Netz aufbauen.` Erst später sei das Argument eines Atomschlags hinzugekommen - das erwies sich beim Lockermachen weiterer Forschungsgelder als äußerst nützlich."'6.

Dem wäre hinzuzufügen, dass moderne Mikroprozessoren gegenüber harter radioaktiver Strahlung sehr anfällig sind, das Argument selber also auch nur bedingt einleuchtet.7

Relevant waren einerseits vor allem die Fragen der Systemsicherheit: auch bei Ausfällen einzelner Rechner sollte das Netzwerk zuverlässig funktionieren und ein ,Komplettabsturz' vermieden werden können, bzw. möglichst völlig auszuschließen sein. Wichtigstes Ziel war, dass es auch mit den bereits vorhandenen verschiedenen Rechnern funktionieren sollte, zwischen denen ein Datenaustausch bislang umständlich bis völlig unmöglich war.

"`Der für viele Vorhaben notwendige Transfer von Daten machte allerdings den mühseligen Austausch von physikalischen Datenträgern wie Magnetbändern und Lochkarten erforderlich und war ausschließlich auf Computer derselben Hersteller oder desselben Typs beschränkt."'8

Weiterhin hätte die Vernetzung von Rechenzentren Möglichkeiten zum gemeinsamen Betrieb, gemeinsamer Anschaffung und besserer Auslastung der extrem teuren frühen Großrechner geschaffen.9 Die Datenübertragung sollte dabei paketweise geschehen (und nicht in Form eines kontinuierlichen Datenstroms, wie es beispielsweise bei der Punkt-zu-Punkt-Vermittlung von Telefongesprächen passiert), damit einzelne Pakete gegebenenfalls unterschiedliche Leitungswege zum Zielrechner durchlaufen, im Falle eines Ausfalls erneut angefordert werden und auch mit Unterbrechungen verschickt werden konnten. Auch bei teilweisen Ausfällen sollte das Netz so funktionsfähig gehalten werden.

Diese universelle Einsatzfähigkeit unabhängig von der Rechnerplattform ließ das Protokoll des Arpanet auch schnell zu einem Standard werden. War die Implementation des Protokolls hier noch auf der Hardwareebene (vorgeschaltete Rechner) gelöst, wurde nach und nach mit der Entwicklung des Network Control Protocol (NCP*) und dessen heute noch verwendeten Nachfolgers TCP* (1972 zuerst vorgestellt)10 die Protokollebene von der Hardware unabhängig: auf jedem Rechner konnte dasselbe Protokoll verwendet werden (heute z.B. läuft TCP/IP ohne Hardwaremodifikationen auf alten DOS-Rechnern über PCs und Macs bis hin zu Unixvariationen auf Workstations, Großrechnern usw.). Proprietäre Lösungen, die u.a. von IBM, Xerox und DEC entwickelt wurden, funktionierten zwar nach demselben Prinzip, nur eben ausschließlich mit den Rechnern der jeweiligen Hersteller und setzten sich nur begrenzt durch.11

1969 fanden zwei wichtige Premieren statt: einerseits wurde das erste funktionierende WAN* in Betrieb genommen, mit Rechnern in der UCLA, in Stanford, in Santa Barbara und der Universität in Utah. Zum anderen wurde das erste RFC* (Request for Comments) verfasst, womit ein System der Standardisierung technischer Protokolle und Kommunikationsstandards geschaffen wurde, das bis heute Bestand hat. RFCs stellen, je nach Stand, die Diskussionsbasis oder den aktuell gültigen Standard eines Protokolls dar12. Die Verwaltung des RFC-Systems übernahm Jon Postel, der als einer der ,Gründerväter' des Internet gilt.13
Mit dem Standard TCP und dem 1980 hinzugekommenen Adressierungsprotokoll IP wurde die gemeinsame Basis geschaffen, mittels der die Rechner im Netz Daten austauschen. Sie ist es, mit Erweiterungen und Modifikationen, bis heute geblieben.14 Unabhängig davon, ob nun ein Videostream über die Leitungen geschickt wird, eine Email, oder die einzelnen Zeilen in einem Chatkanal, sie werden alle mittels TCP/IP* verpackt und verschickt. Offizieller Standard wurde TCP/IP erst 1983, ein Datum, welches daher auch von vielen als die ,eigentliche' Geburtsstunde des Internet betrachtet wird.15 Viele bis dahin isolierte Netze konnten mittels TCP/IP wiederum untereinander vernetzt werden, so das zur Übertragung von seismischen Daten 1975 geschaffene SATNET, welches über Satellit Daten übertrug, oder das ALOHANET, das Netzwerk verschiedener Forschungseinrichtungen auf Hawaii.16 1973 ist zum ersten mal wörtlich die Rede vom INTERNET-Programm, welches die ganzen unterschiedlichen Netzwerke unter einem gemeinsamen Protokolldach miteinander verbinden sollte.17

Die weitere Entwicklung bestand maßgeblich im Miteinbeziehen von immer mehr einzelnen Netzwerken, die auf ihrer jeweils proprietären Hard- und Software liefen. Neue Dienste wie archie (ein Suchdienst für Dateien) und gopher (einem primitiven, auf Verzeichnisstrukturen beruhender Vorläufer des WWW*) wurden eingerichtet.


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Richard Joos; 6. Februar 2002