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2 Steuerung und Kontrolle

Die Anfänge des Internet geben heute in ihrer beinahe schon anarchischen, chaotischen Entwicklung angesichts der heutigen Bemühungen um Einfluss seitens mächtiger Interessensgruppen Anlass zum Schmunzeln, eine Sichtweise, die die Akteure der damaligen Zeit in ihren nachträglichen Darstellungen der damaligen Ereignisse und Planungen durchaus kultivieren. Entwürfe für grundlegende Strukturen und Architekturen wurden in bizarr anmutenden Kontexten gemacht, Vint Cerf brachte die ersten Skizzen zu TCP/IP auf der Bedienungsanleitung seines Hörgeräts zu Papier18; SNMP soll auf eine Serviette geschrieben worden sein, was die Effizienz der Protokolls maßgeblich beeinflusst haben soll: "`Ich nahm die Serviette des Drinks und schrieb alle Befehle auf. Es mussten einfach so wenige sein, weil die Serviette so klein war."'19

Das Internet war ein wissenschaftliches Projekt, welches von Einflüssen der Außenwelt weitgehend frei blieb und so seine Dezentralität, seine quasi-anarchische Struktur und Freiheit schuf.

"`Hochschulangehörige aus den USA waren in den 70er und 80er Jahren die wichtigsten Informationsanbieter im nichtkommerziellen Internet bzw. dessen Vorläufern. Es herrschte eine Atmosphäre der freundlichen und großzügigen Kooperation."'20

Ähnlich wird die Stimmung im Nachhinein auf der 1998er-Konferenz der ISOC* beschrieben: "`Alle Beteiligten bekundeten in fröhlicher Einigkeit, dass sie die Idee eines weltumspannenden Kommunikationsnetzes für alle Erdenbürger bis Anfang der 90er Jahre für eine Idee von Verrückten gehalten hätten."'21 Dementsprechend wenig Gedanken machte man sich über Kontroll- und Regulierungsinstanzen, die mit einer auf ein Vielfaches der Nutzer ansteigenden Größe des Internet zurechtkommen könnten. Allgemein geteilte Überzeugungen und Kodexe regelten die Kommunikation, die sich lange Zeit durch hohe Verbindlichkeit auszeichneten.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Entwicklung und Kontrolle des frühen Internets eine Sache von Forschern und Technikern waren, die im Rahmen der Lösung einer technischen Aufgabenstellung Standards und ,Best current Practises' schufen, mittels der eine Zusammenarbeit möglich wurden. Da keinerlei kommerzielle und nur wenig soziale Ziele verfolgt wurden, stellten sich viele der heute aktuellen Fragen nicht. Es besteht keine Notwendigkeit zur Diskussion des Rechts auf freie Rede in einem Rechnernetzwerk, wenn über letzteres nur Rechenzeit überregional distribuiert werden und eben nicht geredet werden kann. Ebensowenig stellte sich die Frage nach der Benennung von Rechnern - das Domain Name System, welches 1984 etabliert wurde, kam lang vor der kommerziellen Eroberung des Net, zwar war symbolics.com bereits 1985 der erste registrierte Domänenname und gehörte einer Firma,22 jedoch kam erst 1991 mit der world.com ein kommerzieller Internetprovider ins Netz,23 die heute hochumstrittenen Probleme Markenschutz und Namensstreitigkeiten spielten noch keine Rolle.

Anwendungen, die einen sozialen Impetus besaßen, welcher der Kontrolle und Reglementierung bedurften, kamen erst später auf, genauer mit der Email, die Musch auch treffenderweise als die ,vergessene Anwendung' bezeichnet.24 Erst mit dem Usenet, welches auch auf der Email als Kommunikationsmedium fußt, ergaben sich ,Räume', in denen eine Art von Öffentlichkeit hergestellt und soziale Interaktion regelungsbedürftig wurde.


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Richard Joos; 6. Februar 2002