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1 Demografische Unterschiede

Da das Netz als ein Projekt von Akademikern entstand, verwundert es nicht, dass sich an der elitären Art seiner NutzerInnen lange Zeit nichts änderte. Die digitale Spaltung äußerte sich dadurch, dass die überwältigende Mehrheit der Internetnutzer junge, weiße Männer mit überdurchschnittlicher Bildung und überdurchschnittlichem Einkommen aus den USA oder Mitteleuropa waren. Erst in jüngster Zeit nahm der Anteil an NichtakademikerInnen und Frauen in den Industrieländern deutlich zu (im Folgenden werde ich mich meistens auf Zahlen aus Deutschland beziehen, welches diesbezüglich keine Sonderposition unter den westlichen Industriestaaten einnimmt). Betrachtet man die regelmäßigen Erhebungen der GfK*, so steigt der Frauenanteil kontinuierlich an: von 29 Prozent im Jahr 1997173 auf 42 Prozent im Jahr 2001.174

1997 stellten Menschen mit Abitur oder Studium noch fast die Hälfte der Nutzer, inzwischen bewegt sich ihr Anteil bei knapp über dreißig Prozent, während der Anteil der NutzerInnen mit Hauptschulabschluss von 14% 1997 auf 30% 2001 angestiegen ist. Auch hier ist die allfällige Angleichung an die Bevölkerungsstruktur zu beobachten, während unter den Menschen mit Hauptschulabschluss noch eine Lücke von 10% zur Verteilung in der Bevölkerung klafft, hat der Anteil der Nutzer mit mittlerer Reife dieses Jahr den Anteil in der Bevölkerung bereits übertroffen.

Ebenso stellen ältere Menschen eine prozentual schnell wachsende Gruppe im Internet dar, was teilweise zwar einer gewissen Sättigung der jüngeren Altersklassen geschuldet ist, aber was vermuten lässt, dass ,klassische' demografische Variablen wie Alter, Geschlecht und Ausbildung in der Frage des Netzzugangs an sich tatsächlich an Bedeutung verlieren. Die Altersgruppen bis 49 Jahre sind in der Netznutzung noch überrepräsentiert, der prozentuale Anteil von unter-29jährigen an den Netznutzern fällt jedoch, die Anteile aller anderen Altersklassen steigen dagegen und gleichen sich kontinuierlich an die demografische Verteilung der Wohnbevölkerung an.

Die Nutzungsunterschiede in Bezug auf Ausbildung und Haushaltseinkommen glichen sich ebenso kontinuierlich an das demografische Bild der bundesrepublikanischen Bevölkerung an. Von der zweiten bis zur vierten Welle nahm der Vorsprung der überrepräsentierten Einkommensgruppen über 5000 DM gegenüber den unterrepräsentierten Einkommensgruppen darunter deutlich ab. In der siebten Welle wurden die Einkommensgruppen neu eingeteilt, so dass ein Trend nun schwieriger über die verschiedenen Studien hinweg auszumachen ist. Die Trennlinie zwischen unter- und überrepräsentierten Einkommensgruppen liegt nach wie vor bei einem Haushaltsnettoeinkommen von 4000 Mark. Ein Aufholen der unteren Bevölkerungsgruppen ist zwischen 1997 und 1999 jedoch deutlich zu erkennen, angesichts des steigenden öffentlichen Angebots und der fallenden Hardwarepreise ist eine Fortsetzung dieses Trends wahrscheinlich.

Eine weitere Rolle spielt die Größe des Wohnorts. Die NutzerInnen aus Großstädten mit mehr als einer halben Million Einwohnern sind noch deutlich überrepräsentiert. Ein Angleichungsprozess an die tatsächliche demografische Verteilung der Bevölkerung ist jedoch auch hier erkennbar, vor allem in Orten unter 5000 Einwohnern gleicht sich der Anteil der NutzerInnen schnell an die tatsächliche Verteilung in der Bevölkerung an.

Generell kann man also davon ausgehen, dass Netzzugang als gewöhnliches Massenmedium gelten wird und ihm dieser Charakter mit anwachsendem Selbstverständnis zugeschrieben wird. So ist in der Einleitung zur vierten Welle des Onlinemonitors noch die Rede davon, die Entwicklung der soziodemografischen Strukturen der NutzerInnen seien eben

"`...eine Annäherung und keine Angleichung, denn auch weiterhin gibt es bemerkenswerte Unterschiede. So etwa bei der regionalen Verteilung [...], der Verteilung nach Ortsgrößenklassen [...]. Und generell lässt sich konstatieren, dass das Internet nach wie vor ein Medium der Jüngeren und höher Gebildeten ist."'175

In der siebten Welle wird dagegen lakonisch das Fazit gezogen:

"`Die Nutzung des Internet entwickelt sich mehr und mehr zu einem Bestandteil des täglichen Lebens in der Bevölkerung [...] Die Strukturen der Internet-Nutzer nähern sich immer weiter an die der Bevölkerung an. Das Internet hat sich als Kommunikationsmedium, Interaktionsmedium [und] Transaktionsmedium etabliert. Das Internet hat die ,kritische Masse' längst erreicht."'176

Durch fallende Preise sowohl für die benötigte Hardware als auch für den Zugang ist mit keiner Änderung dieser Entwicklung zu rechnen. Jede diesbezüglich relevante Gruppe, ob aus den Reihen der Politik oder Industrie und Wirtschaft, jener der Verbraucherschützer etc. stimmt mit den anderen darin überein, dass die Zugangsschwellen zum Netz weiterhin abgesenkt werden müssen, eine Gegenbewegung ist nirgends zu erkennen. Der Charakter des Netzzugangs als Privileg dürfte sich in den kommenden Jahren vollends verflüchtigen, eine Analogie zum Auto dürfte sich dahingehend entwickeln, dass die Verfügbarkeit der Technik gesellschaftliche Normalität darstellt und ihr Fehlen begründungsbedürftig wird. Fehlender Netzzugang wird kein alleinstehendes Merkmal einer ,im besonderen' exkludierten Gruppe sein, sondern ein Zeichen von Armut unter anderen.

Individuelle Ungleichheiten werden demnach keine Frage des Ob, sondern des Wie des Netzzugangs sein, der Vorteile, die der Einzelne daraus ziehen kann und der Nachteile, die er durch Nebeneffekte (die mögliche Überwachung am Arbeitsplatz, schwer- oder unkontrollierte Preisgabe personenbezogener Daten oder dem Aufgeben schlechter kontrollierbarer Kommunikationskanäle zugunsten des Internet) erfährt. Obwohl der überwiegendste Teil der Bevölkerung die Möglichkeit des Netzzugangs haben wird, werden die tatsächlichen Vorteile, die die Menschen daraus ziehen können, von großen Unterschieden geprägt sein. Obgleich der vordergründig nivellierend scheinenden aktuellen Entwicklung soll somit nicht das faktische Vorhandensein der Spaltung in ,Information-Rich' und ,Information-Poor' bezweifelt werden. Hier ist für das Internet dasselbe Bild wie für das Fernsehen zu erwarten: es profitieren diejenigen, die ohnehin schon bevorzugt sind.177 Dieser Effekt ist jedoch kein genuin neuer Effekt des Internet, sondern trat bislang bei der Einführung eines jeden neuen Mediums ein.

So ist beispielsweise in Anbetracht der Tatsache, dass im Netz Unterhaltung und Information noch schwerer unterscheidbar sind als in Presse und im Fernsehen, zur tatsächlichen Erweiterung der persönlichen Handlungsmöglichkeiten die Aneignung eines kompetenten Umgangs mit dem Medium und seinen Inhalten unumgänglich. Kompetenzen werden so durch die gesellschaftliche Durchsetzung des Internet als neues Massenmedium nicht von vorneherein geschaffen, sondern werden vorausgesetzt. Einen emanzipatorischen Effekt allein aus der Art des neuen Mediums abzuleiten ist beim Netz eine ebenso willkürliche These, wie sie es bei der Presse ist,178 der emanzipatorische Effekt besteht maximal im Resultat der Erfüllung eines noch umfangreicheren Anforderungskatalogs an den Einzelnen, was die Befähigung zur Bewältigung einer immer komplexeren Umwelt angeht.

Das Aufkommen von immer mehr kostenpflichtigen Angeboten im Internet wird ein übriges bewirken, um die Lage für an kulturellem und ökonomischem Kapital ärmeren auch im Netz zu verschlechtern. Doch alle diese Unterscheidungen zwischen Informationsarmen und Informationsreichen täuschen über die Tatsache hinweg, dass die grundlegenden Spaltungslinien entlang höchst realer, materieller als auch nichtmaterieller Eigentumskriterien verlaufen. Versuche, die ,digitale Spaltung' mittels eines ,Zugangs für alle' aufzuheben, täuschen darüber hinweg, dass der Zugang zu Informationen an diesen Ungleichheiten nichts ändert und eine Illusion von sozialem Ausgleich suggeriert, welcher real nicht stattfindet. Rötzer dazu:

"`...ein Indiz dieser Veränderung ist der wachsende Abstand zwischen dem Vermögen der Reichen und der unteren Gesellschaftsschicht überall auf der Welt. Die Verkürzung der sozialen Frage auf den Konflikt zwischen den ,informationsreichen' und ,informationsarmen' Schichten, [...] thematisiert lediglich den ,Zugang für alle', nicht aber die tatsächliche, obwohl damit verbundene Frage nach der Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands und Eigentums."'179

Die Frage ist somit nicht die nach einem Zugang zum Netz, welcher zumindest in den Industrieländern in nächster Zukunft Selbstverständlichkeit sein dürfte, sondern die nach den daraus folgenden Handlungsmöglichkeiten für einzelne Personen, die Eingriffe in ihre Freiheit und in ihre Persönlichkeitsrechte, die allein dem neuen Medium geschuldet sind oder den indirekten Effekten, die die Durchsetzung des Internet als Massenmedium mit sich bringt. Die Ungleichheit macht sich nur am Rande am Zugang als solchem fest. Es existieren selbstverständlich tatsächliche Vorteile der Menschen mit uneingeschränktem Zugang gegenüber denen ohne einen solchen. In den Zeiten knapper Ressourcen, was den Internetzugang angeht (wenig öffentliche Terminals, relativ teure Hardware und hohe Onlinekosten) stellt der Netzzugang für ohnehin materiell schlechter gestellte Menschen eine höhere Belastung dar, die jedoch erbracht werden muss, will man nicht ins gesellschaftliche Abseits geraten. Diese Gefahr besteht aber bei jeder modernen Kommunikationstechnologie und ist in Bezug auf das Netz nicht genuin neu.


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Richard Joos; 6. Februar 2002