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2 Individuelle Unterschiede durch verschiedene Zugangsarten und -folgen

Im Alltagsleben auf den ersten Blick marginal dürften die Vorteile eines weitgehend unzensierten Zugangs zum Netz scheinen, je nachdem, auf welche Weise man das Netz nutzen möchte, und abgesehen vom möglichen Bewusstsein darüber, keine eigene Kontrolle über die Seiten der Netzwirklichkeit zu haben, die man als zumutbar oder eben nicht mehr zumutbar empfindet. Auf die mangelnde Möglichkeit zur Nutzung alternativer Netzwerke und der Problematik gefilterter Inhalte wird ab dem Punkt 4.2. eingegangen. Je nach Einstellungen und überzeugungen der betroffenen Personen kann eine solche Beschränkung als schwerwiegend bis hin zu unbedeutend oder gar begrüßenswert empfunden werden. Stark verkürzt geht es um die Schaffung einerseits einer Personengruppe, die einen ungefilterten Zugang zum Netz hat und sich somit ein ,ungeschöntes' Bild von der Wirklichkeit machen kann, wohingegen eine andere Gruppe - sei es durch die Filterung durch einzelne Provider oder durch materiell bedingte Beschränkung des Zugangs auf öffentliche Terminals, die gewöhnlich mit Filtern ausgestattet sind - ein in bestimmte Richtungen verzerrtes Bild der Wirklichkeit im Netz zu sehen bekommt. Diese Verzerrung findet auf gemilderte und quasi freiwilliger mithilfe der User auch durch die Taktik der Provider statt, User so lange wie möglich auf den eigenen Netzangeboten zu halten. Beispielsweise bewegten sich AOL-Nutzer so zu 85% ihrer Onlinezeit ausschließlich auf Inhalten von AOL selbst.180

Eine weitere Quelle von neuen oder sich verschärfenden individuellen Ungleichheiten wird durch die Kontrollmöglichkeiten der Netzkommunikation dann geschaffen, wenn maßgebliche Kommunikationskanäle in das Internet verlagert worden sind. Auf diese Problematik wird ebenfalls im Kapitel 4 nochmals detaillierter eingegangen, daher sei hier nur kurz auf den Mechanismus hingewiesen, nach dem Kommunikation in einen kontrollierbaren Raum verlagert werden. Angesichts des Siegeszugs des Net am Arbeitsplatz, in Verwaltung und Bürokratie besteht ein steigender Zwang, ein Medium zu nutzen, welches den Zugriff auf persönliche Daten vereinfacht, am Arbeitsplatz mehr Überwachung und die Filterung der Kommunikation ermöglicht; und damit eine Zweiklassengesellschaft nicht von Usern und Nichtusern schafft, sondern von Beobachtern und Beobachteten. Auf die Spitze gebracht, werden die Schwarzen Bretter, die Aushänge und informellen Kommunikationsstrukturen am Normalarbeitsplatz durch den Netzzugang des Telearbeiters über das VPN181 der Firma abgelöst, mittels welchem sämtliche Kommunikation, die darüber geführt wird, prinzipiell kontrollierbar und filterbar wird. Eine rechtliche Absicherung von Arbeitnehmern gegen eine solche Kontrolle und ggf. auch Filterung ist schwierig durchsetzbar, da die verwendete Kommunikationsinfrastruktur gewöhnlich Firmeneigentum sind. Whitaker spricht von einem Drittel aller Firmen, die elektronisch ihre Angestellten überwachen.182 Kroker und Weinstein beschreiben die Praxis in den Xerox-Labs im Silicon Valley, wo alle MitarbeiterInnen ständig per Empfänger lokalisierbar sind und ihre physische Position für jemanden, der sie sucht, per Rechner abrufbar ist, im Namen der verbesserten Kommunikation und der höheren Arbeitseffizienz.183

Auch abseits des Arbeitsplatzes ist es für eine Privatperson gewöhnlich nicht mehr nachprüfbar, was sie auf welche Weise über sich preisgibt. Zwar ist zumeist an der Stelle des Providers das Ende der Datensammelmöglichkeit von Webseitenbetreibern erreicht, d.h. der Betreiber einer Netzseite kann ohne Zustimmung des Nutzers höchstens die IP-Adresse des Users mitloggen, eine Verbindung mit der zugehörigen Telefonnummer wird vom Provider allenfalls der Staatsanwaltschaft zugänglich gemacht. Dennoch ist es an der Tagesordnung, dass Surfer ausgespäht werden, Adressangaben bei Online-Einkäufen weitergegeben werden und mit Cookies Interessensprofile angelegt werden. Auch hierzu wird unter Punkt 4 detaillierter eingegangen, hier sei nur darauf hingewiesen, dass sich im Internet auch außerhalb von Arbeitsbeziehungen oder jenseits staatlicher Institutionen Spaltungen zwischen Beobachteten und Beobachtern gibt: statt der gläsernen Produktion oder der transparenten Bürokratie hat das Netz bisher nur weitgehend gläserne Kunden erzeugt.

Die Möglichkeiten elektronischer Demokratisierung sollten jedoch nicht klein geredet werden. In diesem Zusammenhang fällt beispielsweise Rainer Rilling mit pessimistischen Einschätzungen der Lage auf. Die Dominanz von Kommerz und vor allem Pornografie im Internet sei symptomatisch für eine Entpolitisierung der Öffentlichkeit durch das Nichtstattfinden der Politisierung der Netzöffentlichkeit. "`Massenmedien organisieren Zivilgesellschaft - viel mehr aber noch vernichten sie diese."'184 ist der Kern des Vorwurfs, differenzierter attestiert er dem Netz die großflächige Abschaffung von Repräsentanz kapitalschwacher Gruppen:

"`Parteien, Gewerkschaften, Stiftungen, kleine Verbände oder Betriebsräte werden kein Eigentum an Maschinen, Netzen, Kanälen und Kabeln erwerben können. Wie können sie Aufmerksamkeit auf sich lenken, sichtbar werden? Kaum durch das strukturell schwache Votum als User der neuen Medien."'185

Mit dieser Einschätzung belegte er die Schwierigkeit, zu einer höchst dynamischen Entwicklung wie der des Internet verlässliche Prognosen aufstellen zu können. Vier Jahre nach seinem Artikel kommt kaum ein Netzmagazin ohne Diskussionsforum aus und hat die Auseinandersetzung mit dem im Netz allfällig vorhandenen (und für die User unausweichlichen) Pluralismus neue Qualitäten erreicht.

Von einer elektronischen Agora zu reden, bleibt dennoch unzutreffend, da von einer Verlagerung von politischen Bottom-Up-Strukturen bislang nur in sehr eingeschränktem Maß die Rede sein kann. Die elektronische neue Bürgernähe der Abgeordneten ist in der Realität oftmals wenig praktikabel oder zeitigt kaum Effekte. Abgesehen davon wäre es noch nicht Demokratisierung zu nennen, wenn die Nutzer eines neuen Mediums stärkere politische Repräsentierung finden würden. So sehr sich die Gruppe der InternetnutzerInnen an die demografischen Durchschnittswerte angleicht, stellt sie immer noch eine privilegierte Gruppe dar, die sich ihr gestiegenes Aufmerksamkeitskontingent in der Gesellschaft mit teurer Technologie und langwieriger Aneignung von Medienkompetenz erkauft.


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Richard Joos; 6. Februar 2002