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3 Indirekte Effekte

Während die bisherigen individuellen Auswirkungen des Internet direkt an der Art des Netzzugangs und der Möglichkeiten, die anderen damit gegeben werden ansetzen, sind ebenso weitreichende Auswirkungen des Internet indirekter Art. Allein die Existenz des Netzes in seiner heutigen Form verändert das individuelle Leben und stellt den Einzelnen vor neue Anforderungen.

Die Informationsgesellschaft bevorzugt bestimmte Verhaltensmuster, deren Fehlen üblicherweise zu Benachteiligungen im Berufsleben führt: Flexibilität, projektorientiertes Arbeiten, wenig soziale Absicherung und hohe Bereitschaft zu privater Fortbildung und der Selbstverpflichtung zum lebenslangen Lernen in einer sich immer schneller entwickelnden Kommunikations- und Technikkultur. Klaus Carlin fragt jedoch entgegengesetzt:

"`...Gehören Menschen, deren individuelle Vorstellungen dem Leitbild der Informationsgesellschaft entsprechen, die mit großer Bereitschaft zur Flexibilität sich der Technik bedienen und denen soziale Standards weniger bedeuten, tatsächlich zu den Gewinnern?"'186

Esther Dyson ist unfreiwillig zynisch, wenn sie die Faktoren räumliche und zeitliche Unflexibilität sowie schlechte Ausbildung als Kriterien festschreibt, die einen zum Verlierer der Informationsgesellschaft abstempeln:

"`Angestellte werden bei Verhandlungen mit Arbeitgebern die Oberhand haben [...] Mitarbeiter, denen die Arbeitsbedingungen nicht gefallen, können woanders hingehen. Im Augenblick beginnen die Individuen gerade erst, als Individuen Macht zu gewinnen - zumindest in der Welt des Internets und der gut ausgebildeten Angestellten.[...]...nun können sie fast immer eine Arbeitsgemeinschaft finden, die ihnen zusagt, sie müssen sich nur die Mühe machen, danach zu suchen."'187

Räumlich gebundene ArbeitnehmerInnen, die nicht im Informationssektor tätig sind, werden demnach implizit von vorneherein als Verlierer gehandelt. Die Interpretation des ,Heraussuchens der Arbeit' im Zeitalter verbesserter Informationen über freie Stellen ändert weiterhin natürlich nichts an den Gesetzen von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. In diesem Zusammenhang gewinnt der ,Zugang für alle' nicht demokratisierende, sondern vorherrschend konkurrenzverschärfende Züge. Wie weit die Zunahme der Konkurrenz zwischen Arbeitnehmern in verschiedenen Staaten zunehmen wird, ist noch nicht abzusehen. Beispiele wie den Heidelberger Fachbuchverlag Springer, der Layout und Fotosatz in Bangalore erledigen lässt188, gibt es zahlreiche. Die beispielhafte Entwicklung in Bangalore wird unten nochmals vorgestellt, hier sei nur darauf hingewiesen, dass sich in Bangalore doppelt so viele Programmierer befinden als in ganz Deutschland und sie gewöhnlich für Firmen wie Texas Instruments, IBM, Motorola, Hewlett-Packard, Sun Microsystems, Digital Equipment und Oracle arbeiten.189 Sowohl die Kontrolle über die Löhne als auch das Ausklinken aus den Ausbildungsverpflichtungen in den Industrieländern können von den IT-Unternehmen nur mittels dieser Auslagerungen von hochqualifizierter Arbeit in Billiglohnländer umgesetzt werden.

Dass ein befreiter Wettbewerb gewöhnlich nicht zum Vorteil des Kunden gerät, wird angesichts der vordergründigen Vorteile auch häufig unterschlagen. Wohl kann über das Internet Kaufkraft gebündelt werden und fällt der regionale Schutz von Unternehmen weitgehend weg. Auf der anderen Seite scheint der Handel im Internet vor allem im Business-to-Business-Bereich an Dynamik zu gewinnen. Beispielsweise wurde mit Covisint Anfang 2000 der bisher größte elektronische Marktplatz für Zulieferer der Automobilindustrie eröffnet, betrieben von Ford, DaimlerChrysler, GeneralMotors, Renault und Nissan. Die Folgen sind eine erhöhte Konkurrenz der Zulieferer, wenngleich Covisint verlauten lässt, alle beteiligten Parteien profitieren von dem System, welches durch

"`...Senkung der Transaktionskosten, die Eliminierung von Ineffizienzen und die Steigerung der Produktivität über die gesamte Supply Chain hinweg allen teilnehmenden Parteien nutzen [wird]. Die Lagerhaltungskosten sollten zum Beispiel für ganze Supply Chains sinken, wodurch die Kapitalrendite sich für alle Beteiligten erhöht..."' 190

Es kann an dieser Stelle keine generelle Kritik an den Folgen von Deregulierung und Liberalisierung von Märkten geübt werden, jedoch sei darauf hingewiesen, dass Effizienzsteigerungen sehr häufig durch den Zusammenbruch lokaler Märkte und die Schwächung ohnehin strukturschwacher Regionen erkauft wird. In Anbetracht dessen dürfen die Auswirkungen des Internet auf den einzelnen nicht nur aus dem Blickwinkel der potentiellen KundInnen, sondern auch aus dem der ArbeitnehmerInnen oder allgemein des Marktteilnehmers betrachtet werden.

Abgesehen von Nischenangeboten funktioniert der Business-to-Consumer-Handel im Netz nicht zufriedenstellend, selbst der Vorreiter Amazon schreibt noch immer rote Zahlen. Beobachtbar war bislang eine hohe Kundenfluktuation, was Monopolisierungen befürchten lässt. Generell neigt die Netzstruktur bei ,vernetzungssensitiven' Anwendungen zum Prinzip des ,the Winner takes it all', denn je mehr Anwender/Kunden vorhanden sind, desto größer die Synergieeffekte. Verbesserungen für die VerbraucherInnen können bislang als fraglich gelten.


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Richard Joos; 6. Februar 2002