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1 Systemtheoretische Ansätze der Techniksoziologie

Orientiert an Luhmann geht Rost von Technik als weiterem gesellschaftlichen Subsystem aus: "`Techniksoziologisch nimmt Technik den gleichen Status wie Ökonomie, Politik, Kultur, Religion, Wissenschaft ein."'90 Er betrachtet Technik als fortgesetzte Form der Kommunikation innerhalb der Gesellschaft, welche sich von den einzelnen Akteuren löst (vgl. unten den von Weingart attestierten Bedeutungsverlust des ,Erfinders') und in einen gesellschaftlichen Prozess mündet, der Kommunikationen zu "`in Stahl gegossene Algorithmen"'91 umsetzt.

"`Diese primär am einzelnen Akteur ansetzende Argumentationsfigur war nicht länger durchzuhalten, als dann großtechnische Systeme wie Elektrizitätsnetze..., Ver- und Entsorgungssysteme sowie Verkehrs- und Kommunikationssysteme in den Forschungsblick gerieten. Renate Mayntz schlug vor, großtechnische Systeme in den Rang eines gesellschaftlichen Teilsystems zu erheben und ihnen eine den politischen und ökonomischen Teilsystemen analoge Bedeutung zuzugestehen."'92

Damit vollzieht Rost den Sprung von der (beliebig komplexen) Wechselbeziehung zwischen Technik und gesellschaftlichen Akteuren hin zu einem autonomen gesellschaftlichen Teilsystem, welches in Luhmannscher Manier operativ geschlossen, abgekoppelt von anderen sozialen Teilsystemen seine Reproduktion verfolgt und dabei Umwelt nicht mehr als solche, sondern nur als Störung oder Rauschen wahrnimmt:

"`Ein Computernetz lässt sich [...] als ein Teil des gesellschaftlichen Techniksystems begreifen, welches womöglich insgesamt als ein autopoietisches Sozialsystem operiert, wenn dem Grundgedanken zugestimmt werden kann, dass Technik selbst noch als eine bestimmte Form von Kommunikation operiert, die eigendynamisch auf eine unwiderstehliche Weise, nämlich kontingent-produktiv, dynamisch stabil und ihre Umwelt als Störungen selektiv wahrnehmend, nur an sich selbst bestimmt sinnhaft anschließt."'93

Technik ist demnach ein Teilsystem der Gesellschaft, welches sich durch das Einsparen des Herstellens von Konsens auszeichnet ("`was funktioniert, das funktioniert"'94) und im allgemeinen evolutionären Gesetzmäßigkeiten gehorcht95. Die vielfach eingeforderten ,Reflexionen der Nebenfolgen'96 können nach Luhmann nicht geleistet werden, vielmehr wird Folgeproblemen und entstehenden Risiken mit weiterer technischer Entwicklung begegnet.97 Somit kommt mit der Systemtheorie der Technikdeterminismus durch die Hintertür wieder in die Techniksoziologie zurück, mit der Erweiterung, dass Technik qua Definition keine prognostizierbaren und damit auch keine im Vorfeld steuerbaren Ergebnisse zeitigen kann:

"`Wenn sich [...] Technik und Natur auf untrennbare und unprognostizierbare Weise mischen, macht es keinen Sinn mehr, Phänomene nach der Unterscheidung Technik/Natur zu ordnen. Technik wird wieder zur Natur, zur zweiten Natur, weil kaum jemand versteht, wie sie funktioniert, und weil man dieses Verständnis in der Alltagskommunikation auch nicht mehr voraussetzen kann."'98

Technik ist keine wie auch immer geartete Größe, der sich die Gesellschaft bedient, noch eine, welche die Gesellschaft auf unvorhersagbare Weise beherrscht, vielmehr macht sich die Gesellschaft von Technik auf unvorhersagbare Weise abhängig, indem sie sich auf Technik ,einlässt'. Die gegenseitige Beeinflussung zwischen Gesellschaft und Technik - oder nach Luhmann besser zwischen verschiedenen sozialen und kulturellen Bedingungen und der Technik - bleibt auf die Art und Weise des letztendlichen Einsatzes von Technik beschränkt und nicht auf die Entwicklungen und Erkenntnisse, die Technik an und für sich produziert. ,Die' Technik als solche gewinnt mehr und mehr den Charakter von Natur, die vorausgesetzt werden muss: andere als technische Lösungen sind in den meisten Situationen des Lebens nicht mehr praktikabel und werden gewöhnlich auch nicht als Alternativen gedacht. Dementsprechend ist die Technik deterministisch, indem sie einer ungewissen Zukunft entgegengeht und auf diesem Weg - in Anbetracht ihrer Komplexität - nicht mehr steuerbar ist.

"`Sie dient mit der Vermehrung von Optionsmöglichkeiten der Entfaltung der Eigendynamik des Gesellschaftssystems. Deshalb bleibt der Begriff völlig offen für die Frage, wie es weitergeht."'99

Einziger absehbarer ,fester Punkt' ist das Problem der Energie, bei dem sich Luhmann in Anlehnung an Webers These des Endens der Moderne nach der Verfeuerung der letzten Tonne fossilen Brennstoffs auf das auch weiterhin ungelöste Problem des anwachsenden Energiebedarfs der modernen Hochtechnologie beruft.

Die Adaption ,systemtheoretischer' Ansätze in der Techniksoziologie muss recht kritisch betrachtet werden. So lehnt auch Rammert vordergründig monokausale Techniktheorie ab und attestiert,

"`...die technische Entwicklung hat in diesen Fällen ein Momentum, ein Eigengewicht erlangt, das entweder nicht mehr zur Disposition der einzelnen Akteure steht oder - falls doch - deren abweichende Strategiewahl nicht mehr groß ins Gewicht fallen lässt."'100

In Verbindung mit dieser Aussage beruft er sich ausdrücklich auf das Luhmannsche Konzept ,ungerichteter Evolution', nach dem in der Technikgenese evolutionäre Grundprozesse die Entwicklung maßgeblich prägen: die Variation, die am Anfang der Weiterentwicklung steht, als zielgerichtetes oder vorerst zielloses Experimentieren, als das Optimieren und Detailverbessern von Produkten, Artefakten und Arbeitsabläufen; die Selektion, welche im Alltagsverständnis auf die regulierende Kraft der Märkte beschränkt bleibt, in Wirklichkeit schon viel früher und vor allem umfassender in die Technikgenese eingreift: in den Nutzen des Produkts für das jeweilige Umfeld, über die soziokulturellen Hintergründe, die Ressourcenlage etc.; zu guter Letzt die Stabilisierung, welche sich im vermehrten Nachahmen erfolgreicher Produkte und Artefakte und ihre Nutzung als Impuls- und Ideengeber bei ähnlich gelagerten Problemen äußert. Damit schließt er sich komplett der Position an, dass Technikgenese vorerst wertneutral und ohne direkte Lenkung stattfindet. Regulierung ist zwar notwendig, um unerwünschte Nebeneffekte abzuwenden, jedoch ist es vermessen anzunehmen, dass eine Steuerung des soziotechnischen Wandels durch Interessensgruppen möglich sei. Grobe Eingriffe (Verbote u.ä.) seien zwecklos, vielmehr sei auf eine Vielfalt und das gleichzeitige parallele Beschreiten mehrerer Entwicklungspfade zu achten und Rahmenbedingungen für eine solche wünschenswerte Technikgenese zu schaffen. Zusammen mit Wolfgang Krohn definiert er Wissenschaft und Technik noch deutlicher als "`in soziologischem Sinn autonom; ihre Innensteuerung und Selbstreferenz dominieren die Außensteuerung und Referenz."'101 Auch Krohn bezieht sich ausdrücklich auf Luhmann, koppelt Technik von den anderen sozialen Systemen ab und schreibt ihr operative Geschlossenheit zu.

Das Problem dieser inkonsequenten Adaption der Systemtheorie ist, dass auf eigentlich unzulässige Art und Weise versucht wird, handelnde Subjekte als ,Ehrenrettung' der Multikausalität respektive des Sozialkonstruktivismus wieder in die an sich subjektfreie Theorie einzubauen. Das Problem der Luhmannschen Subjektlosigkeit löst Rammert unter Rückbezug auf Tourraine, welcher eine wechselseitige Einflussnahme von AkteurInnen und System annimmt. Dem Bestimmtsein des Akteurs durch die soziale Situation auf der einen Seite steht der Akteur als Produzent und Reproduzent der sozialen Situationen gegenüber. Das Luhmannsche Paradigma, nach dem Personen kein Teil eines Systems, sondern allenfalls Teil seiner Umwelt sind, lässt er bei dieser verkürzten Adaption jedoch außer Acht. Der Akteur kommuniziert entweder systemkonform, dann wird seine Kommunikation als systeminterner und systemkonstituierender Kommunikationsakt wahrgenommen, oder er tut es nicht, damit ist er aber auch für das System nur als Störung oder Rauschen sichtbar. Insofern ist die Verquickung der Systemtheorie im Sinne Luhmanns mit einer Theorie, die unmittelbare Wechselwirkungen zwischen Akteuren und Systemen annimmt, zumindest ungenau zu nennen.102


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Richard Joos; 6. Februar 2002