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3 Techniktheorien

William Ogburn legte mit seiner These des Cultural Lag das Fundament für einen Technikdeterminismus, der den technologischen Fortschritt als grundsätzlich unsteuerbar, in den Folgen unklar und als gesellschaftlich weitgehend wertneutral betrachtete. Seine Grundthese lautet, dass die kulturelle Überformung von technischen Neuerungen der technischen Entwicklung selbst immer um einige Jahrzehnte hinterherhinkt, da zum Zeitpunkt des Aufkommens neuer Technologien die Gesellschaft noch keine bewährte Praxis zum Umgang mit denselben entwickeln konnte. Die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten einer neuen Technik ist nicht vorhersehbar, ebenso wenig der soziale Impetus. Weiterhin sind die Auswirkungen des Zusammenspiels technischer Innovation nicht voraussehbar, da die Kombinationsmöglichkeiten und die möglichen Folgen zu komplex sind, als dass man sich im Vorfeld auf soziale Auswirkungen technischer Determinanten einrichten könnte. Rammert führt als Beispiel die sukzessive Durchsetzung jeweils der Automobiltechnologie, des Telefons und des Straßenbaus an, welche aber erst in ihrem Zusammenspiel die Konsequenz des Entstehens und Wachsens von Vorstädten zur eindeutig sozial wirksamen Folge hat.86 In eine ähnliche Richtung geht Halfmanns Beispiel des Räderpfluges, der einerseits den Ackerbau effizienter gestaltet, durch den Zwang zur gemeinschaftlichen Nutzung mehrerer Zugtiere die Voraussetzungen für das Genossenschaftswesen der Kleinbauern schafft.87 ähnlich in Bezug auf die unüberschaubare Komplexität und der daraus resultierenden Unplanbarkeit technischen Fortschritts argumentiert auch die Systemtheorie (jedoch mit einem unterschiedlichen zugrundeliegendem Modell von Gesellschaft), auf welche weiter unten genauer eingegangen wird. Nach Rammert muss dieser einseitige Determinismus abgelehnt werden, da nicht darauf eingegangen wird, dass Technikentwicklung sich gemeinhin auch an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert und demnach ebenso zum gesellschaftlichen ,Hinterherhinken' neigt.88 Vorstellungen, Wünsche und Ziele beeinflussen die Entwicklung neuer Techniken oder bringen sie erst in die Richtung, in die sie sich letztlich hinentwickeln.

"`So verbergen sich hinter der konkreten CNC-Maschine Entscheidungen über die Konstruktionsweise, können hinter dem Telefon verschiedene Konzepte des Kommunizierens aufgedeckt werden und lassen sich hinter dem Computer unterschiedliche Visionen erkennen, menschliche Intelligenz zu simulieren oder zu ersetzen."'89

Technikentwicklung ist demnach gleichermaßen Auswirkung gesellschaftlicher Bedürfnisse, wie kulturelle Weiterentwicklung unter anderem dem Aufholen des Cultural Lag geschuldet ist. Diese beiden Positionen markieren den Graben, entlang dem sich techniksoziologische Analysen anhand ihrer Ansichten zur gegenseitigen Beeinflussung von Gesellschaft und Technik kategorisieren lassen.

Der systemtheoretische Ansatz negiert diese direkten Wechselbeziehungen, ob nun einseitigen Determinismus oder Wechselwirkung. Bevor Rammerts sozialkonstruktivistischer Ansatz vorgestellt wird, den er auch mit systemtheoretischen Elementen ergänzt, soll daher zunächst eine ,reinere' Betrachtung systemtheoretischer Techniksoziologie versucht werden.



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Richard Joos; 6. Februar 2002