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3 Kapital und Herrschaftsinteressen als maßgebliche Determinanten von Technik

Wenn Rammert in seiner kurzgefasster Abwicklung der Technik diese als keinesfalls monokausal durch ökonomische Interessen oder bestehende Herrschaftsverhältnisse determiniert betrachtet, argumentieren Strasser und Traube vollkommen entgegengesetzt:

"`Die ökonomische Dynamik, die zur heutigen Industriegesellschaft geführt hat, verdankt ihre Entstehung nicht der Wissenschaft und der auf ihr fußenden Technik, sondern dem Einzug des Prinzips der Kapitalverwertung und der von ihr abhängigen Organisation der Arbeit. Einmal in Gang gesetzt, erfasste dieser ökonomische Prozess auch Wissenschaft und Technik, die sich dann Hand in Hand mit der Ökonomie entwickelten."'119

Sie reduzieren jedoch die steuernden Kräfte nicht auf einen simplen Ökonomismus, sondern postulieren ein Zusammenspiel von ökonomischer Verwertbarkeit und den Interessenslagen von Herrschaftseliten, die den Gang und die spezifische gesellschaftliche Anwendung von technischen Fortschritten maßgeblich prägen.

"`Der Gang wissenschaftlich-technischer Entwicklung wird nicht von ,der Menschheit', sondern von Eliten - von der Führung der Wirtschaft, der ,Gemeinschaft der Wissenschaftler', der Politikbürokratie - entschieden. Demokratische Kontrolle hieße letztendlich, Handlungen dieser Eliten zu kontrollieren, die bisher als ,unpolitisch' galten oder die doch zumindest als durch besondere Kompetenz legitimiert erschienen."'120

So ist die Art, wie sich Technik weiterentwickelt, schon allein von den Einschränkungen dessen, was in einer Gesellschaft denkbar ist, mitbestimmt.121 Dies mag noch als Zugeständnis an den Sozialkonstruktivismus gesehen werden, doch ist hier der springende Punkt auch der, wie Herrschaftsstrukturen in das Denken und die technische Entwicklung automatisch mit einbezogen sind. So ist eine der grundlegendsten technischen "`übergriffe"' in die Alltagswelt der Menschen die wissenschaftliche Analyse und Optimierung von Arbeitsprozessen gewesen, die Grundlage des Taylorismus. Anhand dieses Beispiels lässt sich erkennen, wie die Art und Weise der Weiterentwicklung und letztendlich Anwendung von Technik die Gesellschaftsform reproduziert und widerspiegelt, ja gar nicht anders kann, als in ihrer Weiterentwicklung die bestehenden Herrschaftsformen zu reproduzieren:

"`Als die naturwissenschaftliche Technik zur Erhöhung der Effizienz der industriellen Kapitalverwertung planmäßig eingesetzt wurde, geschah das nicht nur zur Lösung objektiver Produktionsprobleme, sondern ebenso zur Disziplinierung der Arbeiter und zur Befestigung hierarchischer Strukturen... Wäre wohl das Fließband entwickelt worden in einer Gesellschaft, in der die eigentlichen Produzenten (statt einer über sie verfügenden Elite) die Produktionstechnik bestimmten?"'122

Dass Technik innovativ ist und Fortschritt ermöglicht, steht im Gegensatz zu kulturpessimistischen Positionen außer Frage, nur stehen die Prämissen einer aus diesem Fortschritt resultierenden Emanzipation trotz der technischen Weiterentwicklung ungünstig, da jene in den Denk- und somit Machtstrukturen der bestehenden Verhältnisse wurzelt. Ergänzend hierzu ist interessant, dass der Beginn der gesellschaftlichen Instrumentalisierung von Technik mit der industriellen Revolution und dem zügellosen Frühkapitalismus der Zeit der ,Lage der arbeitenden Klasse in England' zusammenfällt. Heute wird eine Technologie zur Entfesselung des Kapitalismus verwendet, die das Potential hat, eben diesen totalen Konkurrenzkampf und diese totale Ausbeutung wieder herzustellen, man denke nochmals an Esther Dysons Visionen der weltweiten Auswahl für die Angestellten der Zukunft unter den lukrativsten Jobs.

Weiterhin sind institutionalisierte Mechanismen an der Beeinflussung der Technikgenese beteiligt.

"`Die Selektierung prinzipiell möglicher Entwicklungen... setzt bereits im Wissenschaftsbetrieb ein. Deshalb trifft die These von der Neutralität und Autonomie des technischen Fortschritts nicht zu. Sie verschleiert vielmehr die tatsächlichen Auswahlmechanismen, erhebt den sichtbaren Teil des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zum Fortschritt an sich und legitimiert ihn so."'123

Dass Selektionen stattfinden, soll unbestritten sein, nur geschehen sie auf eine Weise, die Neutralität vorgaukelt und damit die Herrschaftsinteressen stützt, denen Technik vorgeblich neutral gegenübersteht. Alleine in den existierenden Machtverhältnissen ist bereits angelegt, an welcher Art der technischen Weiterentwicklung maßgebliches Interesse besteht und wer die Ergebnisse und die Verwertungsrechte erhält. Die maßgeblichen Fortschritte werden gemeinhin durch Technikereliten erzielt. In diesem Prozess schafft zwar schon die reine Kompetenz der ,Technikschaffenden' Herrschaftsmacht, aber wichtiger ist die Rolle der Elite als gesellschaftlicher Gruppe mit bestimmten Eigenschaften und bestimmten typischen gesellschaftlichen Zugehörigkeiten. Gewöhnlich besteht sie aus einem Konglomerat von Organisationen, die "`untereinander nach der Art von Subkulturen (auch über die von Firmen und nationalen Interessen gesetzten Grenzen hinweg) kommunizieren"'.124 Sie rekrutiert sich aus der Großindustrie, der staatlichen Forschung und bescheidener aus den Universitäten. Zudem ist ein massives Übergewicht der militärischen Forschung auszumachen, deren Anteil am Weltsozialprodukt mit 7% beziffert wurde, aber die Arbeitskraft der Hälfte der Naturwissenschaftler und Techniker bindet.125 So ist es kein Zufall, wenn ein Großteil der Forschung im militärisch-industriellen Komplex stattfindet und die Militärregime gewöhnlich den Erstzugriff auf eine neue Technologie besitzen. Einzige Alternativen sind finanzkräftige Privatunternehmen, einzige Gegentrends die freie Forschung an staatlichen Stellen, die zumeist von der Verwertung ihrer Ergebnisse ausgeschlossen bleibt.126

So sind zwar die Forschungsprozesse und ihre Ergebnisse nicht planbar. Weiterhin existiert natürlich auch "`... Technik, die Emanzipation begünstigt und solche, die sie verhindert. Aber es gibt durchaus auch Technik, bei der es nur um den Gebrauch ankommt ..."'127 Es entscheidet jedoch letztendlich der Zugriff auf die Resultate der Weiterentwicklungen, welchen Gang die Technikgenese und vor allem ihre Umsetzungen in der Gesellschaft nimmt. Die Logik, nach der erzielte technische Fortschritte auch soziale Wirkung zeitigen müssen, kann am Beispiel China widerlegt werden: vom Wissensstand her immens fortgeschritten, waren die Techniken der Papierherstellung, des Drucks, der Verwendung von Sprengstoff, etc. bekannt, diese wurden aber in keiner Form gesellschaftlich umgesetzt. Indem die fortgesetzte technische Entwicklung als von politischen oder pauschal herrschaftlichen Absichten losgelöst dargestellt wird, wird der Blick darauf verstellt, dass technischer Fortschritt nur politisch gewollt sozial wirkungsvoll wird.

Beispiele der szientistischen ,Lösungen' anstehender gesellschaftlicher Probleme128 lassen sich zu einem ,es gibt keine wahre Technik im Falschen' zusammenfassen. Eine ,menschenfreundliche' Technik ist prinzipiell zwar denkbar, wird aber real nicht umgesetzt. Dass Technik nicht per se inhuman, herrschaftsstützend und elitär ist, wird zwar nicht angezweifelt, im Augenblick ist sie jedoch ein Instrument der Herrschaftseliten, welches selbst die eigentlich beauftragten Wahrer der Interessen des Volkes entmachtet. So

"`...muss man erkennen, dass die wissenschaftlich-technische Entwicklung innerhalb organisatorischer Strukturen verläuft, die - geschützt durch die entpolitisierenden szientistischen Mythen - sich traditionell einer demokratischen Kontrolle entziehen. Da ist die ,Freiheit' der Marktwirtschaft zu nennen, die hierarchische Struktur der Unternehmen, die ,Freiheit der Wissenschaft', der Geheimnisschutz der Rüstung. Diese Konstellationen haben einen ungeheueren Informationsvorsprung der interessierten ,Eingeweihten' und eine Unzahl von Manipulationsmöglichkeiten zur Folge. Das zeigt sich global an der oft katastrophalen Hilflosigkeit von Parlamentariern gegenüber technisch-wissenschaftlichen Problemen..."'129

Eine strukturelle Stützung von Herrschaftsstrukturen kann jedoch als Nebeneffekt durchaus festgestellt werden. Indem Technikgenese Fortschritt und das Wachstum zumindest mittelfristig auf Dauer stellt, ungeachtet der logischen Widersprüche exponentieller Wachstumsstrukturen, stellt (die heutige) Technik mittelbar eine ökonomische Legitimation von Herrschaft und den dauernden Beweis ihrer Ungebrochenheit dar.130 Gerade ein Buch wie ,Faktor Vier' stellt den Appell an die politischen und technischen Eliten dar, mittels weiterer innovativer Technikentwicklung und -anwendung eben die bestehenden Gesellschaftsstrukturen zu stabilisieren.131 Der Preis für eine nicht weitergeführte Technikentwicklung bestünde im Zusammenbruch der Zivilisation im Zuge der zu befürchtenden Naturkatastrophen. Habermas beschreibt die gewollte Systemstabilisierung und das gleichzeitige Auf-Dauer-stellen eines scheinbar unvermeidlichen und außerhalb des Einflussbereichs der Herrschaftseliten liegenden technischen Fortschritts folgendermaßen:

"`Zwar bestimmen nach wie vor gesellschaftliche Interessen die Richtung, die Funktionen und die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts. Aber diese Interessen definieren das gesellschaftliche System so sehr als ganzes, dass sie mit dem Interesse an der Erhaltung des Systems sich decken.... Als unabhängige Variable erscheint dann ein quasi-autonomer Fortschritt von Wissenschaft und Technik, von dem die wichtigste einzelne Systemvariable, nämlich das wirtschaftliche Wachstum, in der Tat abhängt. So ergibt sich eine Perspektive, in der die Entwicklung des gesellschaftlichen Systems durch die Logik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts bestimmt zu sein scheint."'132

Eine deutliche Verschärfung der bisherigen Argumentation liegt in der Adaption der Thesen von Otto Ulrich, der sowohl von Strasser und Traube als auch von Axt133 mit der These aufgegriffen wird, dass kein Unterschied der Interessenslage der ,freien Forschung' einerseits und der Herrschaftseliten andererseits auszumachen sei. Die Eigengesetzmäßigkeit des technischen Fortschritts, der sich stur an Kriterien der Machbarkeit halte, lege eine weitgehende Gleichförmigkeit der jeweiligen Handlungslogiken nahe. So sei zu beobachten,

"`... dass die Interessen der wissenschaftlich-technischen Eliten weitgehend mit denen der kapitalistischen Wirtschaft übereinstimmen, dass es eine strukturelle Verwandtschaft zwischen der naturwissenschaftlichen Technik und der Logik des Kapitals gibt und dass sich ,zur vollen Realisierung ihrer jeweils eigenen Entwicklungslogik Kapital und naturwissenschaftliche Technik wechselseitig voraussetzen.'"'134

Die knappe Schlussfolgerung: "`Wissenschaft und Technik müssen aufgrund ihrer strukturellen Affinität zur Logik des Kapitals nicht ,gezwungen' und ,gepresst' werden."'135

Diese Argumentation kann jedoch als unzutreffend verworfen werden. Ulrich unterstellt der Wissenschaft, im Sinn einer prokapitalistischen Ideologie, die sie durchzieht, Politik zu machen. Das bereits erwähnte Beispiel China zeigt aber höchstens, dass technischer Fortschritt Herrschaftseliten zu stabilisieren vermag, die prinzipielle Art der Produktionsweise wird aber durch die Form des Fortschritts weder determiniert noch maßgeblich beeinflusst. Die unnötige Verschärfung erweitert die Analyse der Instrumentalisierung der Technikgenese zur Fortsetzung bestehender Herrschaftsverhältnisse durch einen nicht begründbaren neuen Technikdeterminismus einerseits und einem nicht nachvollziehbaren Fortschrittspessimismus andererseits. Vielmehr stellt sich nach der Analyse der Vereinnahmung technischer Entwicklung die Frage nach den Akteuren, die diese Prozesse dulden und fördern. Strasser und Traube sehen den Initiativbedarf beim Staat, der als Repräsentant der Bürgerinteressen deren Interessen verstärkt auch gegen andere gesellschaftliche Strömungen durchsetzen soll:

"`Es gilt, den pluralistischen Anspruch des Staates beim Wort zu nehmen, der einseitig einen Wissenschaftsbetrieb finanziert, dessen Zielsetzungen mit denen der Wachstumsgesellschaft übereinstimmen und der nolens volens von dem beachtlichen Teil der Bürger mitfinanziert wird, die der Wachstumsgesellschaft skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen"'.136


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Richard Joos; 6. Februar 2002