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2 Ein Experiment in Demokratisierung: ICANN

Mit der ICANN*, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, wurde eine Organisation neuen Typs geschaffen, die den Anspruch hat, supranational und demokratisch zu funktionieren und die Schnittbereiche zwischen Internet und nationalen und internationalen Rechtsräumen zu regulieren. Während der populärste Gegenstand der Steuerung der IETF* IP6 ist, ein numerisches Adressierungsprotokoll, welches nicht gerade im Verdacht steht, zum Politikum zu werden, schneidet sich die bekannteste Aufgabe der ICANN*, nämlich die Vergabe von Domänennamen, mit bestehenden Gesetzen wie Marken- und Urheberrecht. Diese Situation ist als solche nicht unvermeidlich, der Diskurs dreht sich im Allgemeinen aber nicht mehr um das ,ob', sondern das ,wie' der Umsetzung des Marken- und Urheberrechts im Internet.

Damit ein Rechner im Netz erreichbar und ansprechbar ist, muss er eindeutig identifizierbar sein, d.h. eine im Netz einmalige Bezeichnung haben. Das IP (Internet Protocol) ordnet jedem Rechner im Netz eine IP-Nummer zu, die in der aktuellen Version IP4 aus einer Kette von vier Zahlentripletts besteht, die prinzipiell zwischen 0 und 255 liegen kann.52 So hat ein WWW-Server beispielsweise die Adresse 62.144.115.98, und kann unter dieser Adresse auch im Netz erreichbar sein.

Da diese rein numerischen Adressen schlecht zu merken sind, kam man bald auf die Idee, den Rechnern Namen zu geben. Diese sind nach einer festen Regelung aufgebaut, die hierarchisch vom Namensende an den Anfang hin aufgebaut sind und mit Punkten getrennt sind. Das letzte Element ist die Top Level Domain, die entweder ein Länderkürzel ist (.de,.at,.ch, sw., die ccTLD's: Country Code Top Level Domains) oder eine der länderunspezifischen gTLDs* (generic Top Level Domains).com,.net,.int oder.org. Weiterhin existieren noch.mil,.edu und.gov, welche militärische Rechner, Rechner an Bildungseinrichtungen oder solche von Regierungsinstitutionen der USA bezeichnen. Das nächste Namenselement bezeichnet die konkrete Einrichtung, zu der der Rechner (oder der Dienst, es ist möglich, mehrere Domänen auf einem Rechner laufen zu lassen) gehört. Weitere genauere Bezeichnungen können nun vorn angefügt werden, zumeist steht am Anfang noch ein typisches Kürzel für den Dienst, der auf dem Rechner mit dem jeweiligen Namen angefordert werden kann - für Webseiten gewöhnlich www, was aber schlicht eine verbreitete Praxis ist, ebenso gut könnte der www-Server unter einer anderen Bezeichnung laufen und ansprechbar sein. Uneinheitlicher sind so beispielsweise die Namen von Mailservern, die häufig einfach ,mail' genannt werden, oder nach dem verwendeten Mailprotokoll POP, SMTP oder IMAP etc. Dies ist Sache der Systemadministratoren und hat rein technische Hintergründe und Motive.

Ziel der Namensgebung war, die Bezeichnung der Rechner für die User einfacher zu machen. Eine Bezeichnung wie ,pop.gmx.de' zeigt im Unterschied zu ,194.221.183.20' zum einen schon, dass es sich um einen Rechner von GMX (einem Freemail-Provider) handelt, weiterhin, dass es sich offenbar um einen Mailserver handelt (pop ist die Abkürzung für Post Office Protocol). Nimmt man den Rechner 62.144.115.98, landet man bei www.taz.de, und mittels der Namensadresse kann man davon ausgehen, dass dort das www-Angebot der ,tageszeitung' liegt. Die Namensanfragen werden auf dezentral von den Providern bereitgestellten Rechnern, den Name Servern, in numerische Adressen übersetzt, aber die eindeutige Zuordnung einer Nummer zu einem Namen muss verbindlich und zentral sein, sonst wäre es möglich, dass man, je nach Einwahlpunkt und zuständigem Nameserver trotz gleicher Adresseingabe auf unterschiedlichen Rechnern landet. Hier wird eine zentrale Instanz notwendig, mittels der die Eindeutigkeit der Abbildung von Rechnernamen auf IP-Adressen gewährt bleibt.

1984 wurde das Domain Name System erstmals vorgestellt. Die Verwaltung des Domain Name Systems wurde 1985 Postels Information Sciences Institute (ISI) übergeben. 1991 wurden Restriktionen zur kommerziellen Nutzung des Net abgeschafft und 1993 übergab das ISI die Registrierung und die Pflege des Root Servers an das private Unternehmen 1993 Network Solutions, Inc.53 (2000 aufgekauft durch Verisign54).

Dieser Prozess stellt einen der Weichenstellungen dar, die die Geschichte des Nets und sein Wechsel von einer großtechnischen Einrichtung hin zu einem Sozialraum mit entsprechenden Veränderungen, was den Regulierungsbedarf und die sozialen Implikationen seiner Weiterentwicklung betraf. Ob der News-Server einer Forschungseinrichtung nun newsserv01.ucla.edu oder RalphNader.ucla.edu heißt, ist noch nicht von öffentlichem Interesse.55 Sobald aber ein neuer, öffentlich zugänglicher Adressraum entsteht, dessen Adressierungen implizite Bedeutung tragen, stellt sich die Frage, wer auf welche Bedeutungen ein Anrecht hat. Dass diese Form einer ,bedeutungstragenden' Adressierung eines Namensraums überhaupt nicht in sich logisch und üblich ist, zeigt das Gegenbeispiel des deutschen Telefonadressierungssystems: jeder Anschluss hat eine Nummer, einzige Privilegierungsmöglichkeit hierbei sind Kürze und Eingängigkeit. Der Nachweis, dass nun eine bestimmte Person ein bevorzugtes Anrecht auf die Telefonnummer 31337 haben soll, wird aber nur schwer zu erbringen sein.

Somit stellt die Entscheidung, einerseits sinntragende Begriffe als Rechnerbezeichnungen einzuführen und diese dann später auch bei der Möglichkeit einer kommerziellen Verwertung derselben beizubehalten, eines der Schlüsselereignisse dar, die die aktuellen Streitfragen des Nets mitbedingt und verursacht haben.

Mittels dieser Weichenstellung wurde eine neue, kapitalisierbare Ware namens Domainname geschaffen. 1995 begann NSI, Domainnamen nur noch gegen jährliche 50$ Gebühr zu registrieren, 1996 erzielte die Domain tv.com einen Preis von 15000$56, business.com wurde 2000 für 7,5 Mio. versteigert, die Versteigerer domainsystems.com versuchen mit hell.com und dem Mindestgebot von 8 Millionen diesen Erfolg noch zu übertreffen.57


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Richard Joos; 6. Februar 2002